Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Russische Literaten auf dem Weg zum deutschsprachigen Leser


Bis zum letzten Moment hatte es den Anschein gehabt, dass die Messe abgesagt werden kann. Das Coronavirus hatte die Organisatoren zweifeln lassen sowie in Ungewissheit und Unbestimmtheit gehalten. Aber sie hatten Glück gehabt, haben es geschafft und allen gezeigt!

Die Wiener Buchmesse ist recht jung und keine so großangelegte wie ihre bekannteren europäischen Gefährtinnen. Sie ist erst 2008 aus der Wiener Buchmesse mit ihrer 60jährigen Geschichte hervorgegangen. Die Option des Ehrengastlandes hat es erst in diesem Jahr zum ersten Mal gegeben (geplant war es für das Jahr 2020, wurde aber aufgrund COVID-19 übersprungen). Und als erstes in dieser Rolle trat Russland auf. Dies hing wahrscheinlich damit zusammen, dass in unseren Ländern in den Jahren 2020-2021 gedämpft und still das Jahr der Literatur und des Theaters stattfindet.

Üblicherweise drängeln sich am ersten Messetag nicht nur Bücherliebhaber, sondern auch Politiker, Vertreter des öffentlichen Lebens und das übrige Gewissen der Nation zwischen den Ständen und auf den Bühnen. COVID-19 hatte den Eifer des (Bücher-) Festes etwas ausgebremst. Den russischen Stand hatte man dennoch üppig eröffnet, mit Sekt, Kringeln und Konfekt der Fabrik „Roter Oktober“. Das Wort ergriffen Russlands Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter in Österreich, Dmitrij Ljubinskij, der Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels Benedikt Föger und Wladimir Grigorjew, Vizepräsident des Russischen Buchverbands sowie Direktor des Departments für die staatliche Unterstützung der periodischen Presse und Buchindustrie im Ministerium für digitale Entwicklung, Fernmeldewesen und Massenkommunikation der Russischen Föderation.

Insgesamt aber hatten an der fünftägigen Messe vom 10. bis einschließlich 14. November 31 Länder teilgenommen, 323 Verlage, 513 Autoren und Experten sowie 41.000 Besucher. Die Messe war buchstäblich in letzter Minute vor dem österreichischen Lockdown zu Ende gegangen. Aber auch in den Tagen des Büchertrubels konnten nur jene ins Messe-Ausstellungszentrum gelangen, die mit einem europäischen Vakzin geimpft worden waren. Oder in der Lage waren, einen PCR-Test vorzulegen, der nicht später als 48 Stunden vor der Überprüfung gemacht worden war. Der Prozentsatz der Vakzinierten in Österreich ist geringer als in den anderen Ländern Westeuropas (insgesamt 65 Prozent). Daher motiviert und stimuliert man auf jegliche Art und Weise. Selbst einige Wiener Bordelle haben sich dem angeschlossen und die Aktion „Eine halbe Stunde Vergnügen für eine Anti-COVID-Impfung“ gestartet. Interessant ist zu erfahren, wie erfolgreich sie verläuft. Und in die Restaurants kommt man ohne „Pfizer“, „Moderna“ oder „Johnson & Johnson“ selbst mit einem negativen Test nicht hinein. Ich hatte es nur ein paar Mal geschafft, in der Stadt einen Imbiss einzunehmen, ja, und dies auch an einem Straßen-Tischchen. Im Novemberwind wird das Wiener Schnitzel mit einem Schlage kalt. Glücklicherweise hatte es mit dem Hotel-Café eine spezielle Vereinbarung gegeben. Und dort hatte man uns all doch bedient. Dafür war aber eine ganze Note des Außenministeriums erforderlich gewesen.

Was aber hatte Russland dem österreichischen Publikum kredenzt? Jewgeni Resnitschenko, Direktor des Instituts für (Literatur-) Übersetzung, das ausländischen Übersetzern russischer Literatur Zuschüsse vergibt und unser Messeprogramm organisiert hatte, berichtete über anstehende Pläne. Der Schriftsteller Maxim Ossipow stellte die Bücher „Nach der Ewigkeit“ (im russischen Original „Der Schrei des Hausvogels“) und „Kilometer 101“ vor, die auf Deutsch (Übersetzung von Birgit Veit) im Hollitzer Verlag erschienen sind. Die Kinderbuchautorin Alexandra Litwina berichtete über die Arbeiten „Von Moskau nach Wladiwostok. Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn“ und „In einem alten Haus in Moskau: Ein Streifzug durch 100 Jahre russische Geschichte“, die im deutschen Gerstenberg Verlag herausgekommen sind. Eine der am meisten prämierten Schriftstellerinnen – Gusel Jachina – präsentierte ihre Bestseller-Romane in der deutschsprachigen Übersetzung von Helmut Ettinger (Aufbau Verlag). Der Essayist und Musikwissenschaftler Alexej Parin – seine Bücher über die russische Oper (Hollitzer Verlag). Die Lyriker und Übersetzer Alexander Nitzberg und Maxim Amelin diskutierten über Probleme der Übersetzung von Poesie. Der Schriftsteller und Gewinner zahlreicher Literaturpreise Jewgeni Wodolaskin präsentierte die Romane „Laurus“ (Dörlemann Verlag, übersetzt von Olga Radetzkaja mit Unterstützung des Instituts für Literaturübersetzung) und „Luftgänger“ (Aufbau Verlag, übersetzt von Ganna-Maria Braungardt mit Unterstützung des Instituts für Literaturübersetzung). Die Kinderautorin Nina Daschewskaja unterhielt kleine Messebesucher auf einer speziellen Kinderbühne, wobei sie diese zum Kennenlernen ihres Buches „Theo, der Theaterkapitän“ über eine Maus, die in einem Opernhaus arbeitet, mitnahm. Der in Saratow lebende Schriftsteller Viktor Remizov, Autor des in Deutsch erschienen Romans „Asche und Staub“ (in einer Übersetzung von Annelore Nitschke, Verlag dtv), berichtete dem verblüfften Publikum von Geheimnissen und der Lebensweise Sibiriens. Außerdem fanden verschiedene Rundtisch- und Podiumsdiskussionen statt – über Frauenstimmen der modernen Prosa, über das Kinderbuch aus Russland sowie über das unterschiedliche Verstehen und Deutschen von Dostojewskij. Man stellte Fragen und beantwortete sie, deklamierte und diskutierte. Es klärten auf und begeisterten die Illustratorin, Künstlerin und Vorsitzende der Sektion Buchgrafik im Künstlerverband Russlands Anastassija Archipowa, die Künstlerin, die Dostojewskij illustrierte und in der Technik „zerrissenes Papier“ arbeitet, Ljudmila Grigorjewa-Semjatizkaja, die Übersetzerinnen Franziska Zwerg, Vera Bischitzky, die Schriftstellerinnen Anastassija Strokina, Daria Wilke, die Kritikerinnen Natalia Lomykina und Olga Mjaeots, die Krimi- und Märchenautorin Julija Jakowlewa, der Poet Sergej Birjukov… Die Kinderschriftsteller waren sogar aufgebrochen, um sich mit Kindern im russischsprachigen Gymnasium „Meridian“ zu treffen – es scheint mit dem Direktor des Literaturpreises „Kniguru“ (und nicht nur) Georgi Urushadse. Aber ich persönlich habe ihn nicht gesehen und lege nicht meine Hand dafür ins Feuer, dass er gefahren war. Leider konnte der im Programm angekündigte Andrej Gelassimow nicht bei der Messe dabei sei, dessen Rapper-Roman „RussenRap“ mit Unterstützung des Instituts für Literaturübersetzung kürzlich in deutscher Übertragung von Thomas Weiler im Aufbau Verlag erschien ist. Es muss angemerkt werden, dass beinahe alle präsentierten Übersetzungen der russischen Prosa in den deutschsprachigen Ländern mit Unterstützung des Instituts für Literaturübersetzung erschienen sind.

Die Autorin der vorliegenden Zeilen stellte am russischen Stand ihre Romane „Die russische Mauer“ und „Eine Liebe im Kaukasus“ in der deutschsprachigen Übersetzung von Christiane Körner (Suhrkamp Verlag) vor. Und zusammen mit dem Übersetzer und Diplomaten Johannes Eigner – den neuen Roman „Verletzte Gefühle“, der in diesem Jahr im österreichischen Wieser Verlag erschienen war. Die Präsentation erfolgte in der 3sat-Lounge, moderiert wurde sie durch Ernst A. Grandits, der einst Dokumentarfilme über Russland drehte. Es ging dabei, wie dies auch der Roman verlangte, nicht nur um Literatur, sondern auch um aktuelle Angelegenheiten inkl. des russischen Gesetzes über „ausländische Agenten“, die Kriminalisierung von Standpunkten zur Krim, der Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg usw.

Zum Hauptgast der Messe wurde natürlich der Jubilar Fjodor Michailowitsch Dostojewskij. In der prachtvollen Österreichischen Nationalbibliothek fand ein musikalisch-literarischer Abend statt, an dem der russische Botschafter Ljubinskij, der Schriftsteller und Musikwissenschaftler Parin sowie der Publizist und Übersetzer Erich Klein teilnahmen. Im Russischen Haus in Wien eröffnete man eine Ausstellung des Petersburger Dostojewskij-Literatur- und Gedenkmuseums und gratulierte überdies der Österreichischen Vereinigung der Russisch-Lehrer zum 50jährigen Bestehen.

Insgesamt wurde die Buchmesse ein Erfolg, ungeachtet aller Coronavirus-Wirren. Man möchte gern daran glauben, dass wir künftig zu einer hundertprozentigen, direkten literarischen (und nicht nur) Verbrüderung ohne jegliche Einschränkungen zurückkehren werden. Denn die Impfung mit Literatur gehört zu den lebenswichtigsten.