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Russlands außerparlamentarische Opposition wird aus dem Ausland kämpfen


Wie die „NG“ erfuhr, stellt das außerparlamentarische Spektrum der Opposition de facto die aktive Tätigkeit aus dem Innern des Landes ein, wobei es als Hauptkampfressource die Wahl-Informationsprojekte, -medien und sozialen Netzwerke belässt. Die in der Heimat verbliebe Führungsriege der Nawalny-Vertreter wird sich schrittweise in die Emigration begeben. So hat Ljubow Sobol ungeachtet eines gerichtlichen Verbots für eine Ausreise (das noch nicht rechtskräftig geworden ist – Anmerkung der Redaktion) laut einigen Angaben das Land am 7. August in Richtung Türkei verlassen. Ihre Mitstreiter erklären derweil, dass sie neue sichere Methoden gefunden hätten, um Geld für das „Smart Voting“ („Kluges Abstimmen“) gefunden hätten. Experten betonen, dass das oppositionelle Elektorat immer mehr nicht auf Markennamen, sondern auf den schillernden Charakter der Kampagne reagieren würde.

Ljubow Sobol ist am Samstagabend nach Istanbul geflogen, wobei mitgeteilt wird, dass die Oppositionspolitikerin in der Türkei einen Zwischenstopp einlege und der Endpunkt der Reise vorerst unbekannt sei. Am 3. August hatte das Moskauer Preobraschenskij-Stadtbezirksgericht Ljubow Sobol des Aufhetzens zu einer Verletzung der sanitärhygienischen und epidemiologischen Regeln für schuldig befunden. Unter anderem war ihr verboten worden, die Wohnung von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr zu verlassen, Massenveranstaltungen zu besuchen sowie Moskau und das Moskauer Gebiet zu verlassen. Auch sollte sie sich dreimal im Monat in der entsprechenden Inspektion melden.

Derweil berichtete Leonid Wolkow, einer der Mitstreiter von Alexej Nawalny, über ein neues sicheres Schema zur Finanzierung des „Smart Votings“ und der Strukturen Nawalnys. „Wir setzen die Arbeit fort und starten unser Crowdfunding vollkommen neu. Es ist lächerlich. Die Kreml-Propagandisten versuchen uns ständig, irgendetwas „anzuhängen“, da wir mit Spenden arbeiten. Wir aber sind dagegen sehr stolz darauf. Nur solch eine Arbeit sichert ein Feedback, gibt ein Verständnis dafür, dass wir etwas tun, was die Menschen brauchen. Nur das Bestehen einer großen Anzahl von ständigen Abonnenten – permanenten Spendern – gibt die Möglichkeit zu planen, Mitarbeiter zu gewinnen, Büroräume zu mieten und große Projekte zu starten. Wir arbeiten immer so und werden weiter so arbeiten.“

Dabei sei nach seinen Worten das System verändert worden. Es gebe einen neuen Haupt-Link für Spender. Dort kann man Zahlungsaufträge für Abbuchungen von Kreditkarten erstellen sowie die Vornahme regelmäßiger monatlicher Spenden in jeglicher Währung einrichten. „Wir sammeln und speichern nicht eure Kontakte, und wir machen das Zahlungssystem zu solch einem, dass man aus Russland ungefährdet spenden kann“, erklärte Wolkow. „Dort kann man nach wie vor Überweisungen in einer Krypto-Währung vornehmen. Dies ist legitim und sicher. Und dort gibt es ein neues PayPal-System, das ebenfalls sicher arbeitet“. Ebenfalls könne man jetzt auch nach seinen Worten nicht aus Russland Spenden tätigen.

Derweil verschärft Wolkow immer mehr die Rhetorik. Er erklärte im Rahmen seines neuen Auftritts in seinem Blog: „All das, was in den letzten drei Monate passierte, ab April bis einschließlich Juli – das Verbot der politischen Offline-Arbeit, die totale Säuberung der Wahlen, die Schließung des Internets, die Vernichtung aller unabhängigen Massenmedien mit einem Schlage – dies wäre alles passiert. Darauf ist alles hinausgelaufen… Dies aber sollte noch zehn Jahre dauern. Das heißt, arithmetisch hat sich der Kreml entschlossen und das Tempo der Repressalien um das 40fache im Verhältnis zum gewohnten beschleunigt. Es ist klar, warum solch eine Beschleunigung. Man fürchtete die Wahlen, und man hatte Angst vor dem „Smart Voting“ und beschlossen, sich abzusichern und die Schrauben stärker anzuziehen“.

Zur gleichen Zeit meldete sich Michail Chodorkowskij mit einer Erklärung zu Wort, wonach er all seine Projekte auf dem Territorium Russlands einstelle. Der Ex-Oligarch betonte, dass Roskomnadzor (die russische Aufsichtsbehörde für das Internet und Fernmeldewesen – Anmerkung der Redaktion), den Zugang zu den Internetseiten all seiner politischen, journalistischen und Menschenrechtsprojekte blockiert hätte. „Bisher hat man den Projekten nur finanzielle Sanktionen angedroht. Ich hatte auf eine Fortsetzung der Arbeit bestanden. Ich möchte aber nicht, die Menschen einem Risiko aussetzen. Daher habe ich mit den Redaktionen eine Einstellung der Projekte in Russland abgestimmt. Aber die Einstellung eines Teils der Projekte ist keine Beendigung des Kampfes“, unterstrich er. Der Oppositionelle betonte, dass die Internetseite des Zentrums „Dossier“ vollkommen außerhalb der Russischen Föderation arbeite und nicht aufhören werde, wichtige Nachforschungen zu betreiben. Gleichfalls gebe es die Internetseite, die den Herbstwahlen zur Staatsduma (das russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) gewidmet ist und auf der Biografien den Kandidaten für Abgeordnetensitze hinsichtlich deren Abstimmungsverhaltens in Bezug auf anrüchige und umstrittene Gesetzesvorlagen sowie Empfehlungen, von denen ein Großteil wahrscheinlich mit der des „Smart Votings“ übereinstimmen werden, veröffentlicht werden. Gleichfalls bleiben die sozialen Netzwerke und der Videokanal von Chodorkowskij.

Der Präsident der Russischen Assoziation politischer Konsultanten Alexej Kurtow erläuterte der „NG“: „Die Einstellung der Projekte in der Heimat und die Ankündigung, weiter zu arbeiten – dies ist aus der Sicht einer Erlangung der Macht sinnlos. Die Erfahrungen beweisen, dass das Leben im Ausland eine vollwertige politische Tätigkeit behindert. In der Regel werden Projekte ohne ein besonderes Ergebnis eingestellt. Daher ist für eben jenen Chodorkowskij die Fortsetzung der Arbeit eine Sache der Ehre, sie wird aber wohl kaum eine wirksame sein“. Derweil betonte der Experte, dass sich die oppositionellen Kräfte vor einer Preisgabe ihrer Spender absichern würden. Das neue Finanzierungsschema, das von Wolkow vorgeschlagen wurde, werde dazu führen, dass die Finanzberichte der Opposition undurchsichtiger werden würden. Dabei steht der Experte der Möglichkeit, vor dem Staat die Tatsache von Spenden für die außerparlamentarische Opposition zu verbergen, skeptisch gegenüber, wobei er betont, dass die Anhänger selbst ein derartiges Risiko sehen und beurteilen würden.

„Natürlich, beide Seiten, sowohl die Offiziellen als auch die Opposition, machen in den Ausdrücken nicht viel Federlesen und versehen einander mit Etiketten. Dies hat es stets gegeben. Zu erklären ist dies damit, dass ein markanter, ein schillernder Charakter immer Teil der obligatorischen öffentlichen Tätigkeit war. Und die Menschen reagieren darauf stärker als auch Markennamen. Daher werden seitens der Opposition keine speziellen Versuche für eine Erziehung höriger Anhänger unternommen. Sie wird eher zu überleben versuchen, soweit dies möglich ist“, merkte Kurtow an. Er unterstrich, dass die Eroberung bzw. Gewinnung des Protestelektorats der Hauptkampf der Opposition sein werde. Die Menschen aber hätten sich jedoch nicht hinsichtlich des Präsidenten geteilt, sondern hinsichtlich des staatlichen Systems insgesamt, hinsichtlich der Herrschenden und der Staatsbeamten. Und die Unzufriedenheit schlage oft nicht auf den Präsidenten über.

Konstantin Kalatschjow, der Leiter der Politischen Expertengrup