Der Nordatlantikpakt wird eine Antwort auf die von den Präsidenten des Unionsstaates getroffenen Entscheidungen suche
Vladimir Muchin
Der Nordatlantikpakt hat großangelegte Manöver unter Beteiligung von 2500 Militärs und 500 Fahrzeugen und anderer Technik an der Grenze des Unionsstaates begonnen. Die Manöver starteten vor dem Hintergrund der Samstag-Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin über die Stationierung taktischer Kernwaffen in Weißrussland. Die Manöver „Zalew-2023“ („Bucht-2023“) führen die Streitkräfte Polens zusammen mit NATO-Verbündeten bis zum 31. März im Gebiet des Kanals durch die Weichsel-Nehrung durch. Es grenzt an Russlands Verwaltungsgebiet Kaliningrad. Experten schließen nicht aus, dass an ihnen Trägermittel für taktische Kernwaffen eingesetzt werden, die die USA schon lange in Europa stationiert haben. Und als Munition werden Geschosse mit abgereichertem Uran eingesetzt, die es praktisch in allen Armeen der Länder der Allianz gibt. Dass in Europa „im Verlauf von Jahrzehnten taktische Kernwaffen stationiert werden (in sechs Staaten – dies sind die Bundesrepublik Deutschland, die Türkei, die Niederlande, Belgien, Italien und Griechenland)“, behauptete der Präsident der Russischen Föderation in einem Interview für das russische Staatsfernsehen. Nach Aussagen Putins diente als Anlass für die Stationierung taktischer Kernwaffen in Weißrussland „die Erklärung von Großbritanniens Vize-Verteidigungsministerin, dass sie sich anschicken würden, Geschosse mit abgereichertem Uran in die Ukraine zu liefern“. „Aber selbst außerhalb des Kontextes dieser Ereignisse wirft Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko schon lange die Frage darüber auf, auf dem Territorium Weißrusslands russische taktische Kernwaffen zu stationieren“, betonte Russlands Staatsoberhaupt.
„Alexander Grigorjewitsch hat Recht. Er sagt: Nun, hören Sie einmal, wir sind doch Ihre nächsten Verbündeten. Warum machen die Amerikaner dies für ihre Verbündeten, stationieren auf deren Territorium, bilden im Übrigen deren Besatzungen, deren Piloten aus, diese Waffenart bei Bedarf zu nutzen“, erklärte Russlands Präsident. „Wir vereinbarten, dass wir genau das Gleiche tun werden, ohne unsere Pflichten zu verletzten, ich unterstreiche, ohne unsere internationalen Pflichten zur Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen zu verletzten. Wir haben bereits unseren weißrussischen Kollegen geholfen, auch ihre Flugzeuge, Flugzeuge der weißrussischen Luftstreitkräfte, auszurüsten. Zehn Flugzeuge sind für einen Einsatz solch eines Waffentyps bereit“, erklärte Putin. Außerdem teilte Putin mit, dass Russland Weißrussland einen Iskander-Raketenkomplex übergeben hätte. „Er kann auch Träger (von taktischen Kernwaffen – „NG“) sein. Ab dem 3. April beginnen wir mit der Schulung von Crews, und am 1. Juli beenden wir den Bau eines speziellen Depots für taktische Kernwaffen auf dem Territorium Weißrusslands“, teilte der Präsident der Russischen Föderation mit.
Dass weißrussische Su-24-Flugzeuge für Kernwaffen umgerüstet wurden, erklärte Alexander Lukaschenko bereits im August vergangenen Jahres. Und über die Indienststellung des operativ-taktischen Raketen-Komplexes „Iskander“ hatte er im Dezember des Jahres 2022 informiert. Vor einem Monat präzisierte das Staatsoberhaupt Weißrusslands, dass es für diese Komplexe einen entsprechenden Gefechtssatz an Raketen gebe. Laut offenen Quellen können das taktische Front-Bombenflugzeug mit Schwenkflügeln Su-24 und seine Modifikationen frei fallende oder lenkbare Fliegerbomben mit einer taktischen Kernladung geringer und extrem geringer Stärke einsetzen. Dabei kann in der Regel jedes Flugzeug zwei solcher Bomben an Bord nehmen. Außer ihnen können die Su-24-Jets die russische hochpräzise Rakete vom Typ X-59 der Klasse „Luft – Oberfläche“ mit einem durchschnittlichen Einsatzradius von bis zu 290 Kilometern mit einem nuklearen Gefechtskopf einsetzen. Eine solche mit taktischen Kernwaffen ausgerüstete Rakete sei in der Lage, in der operativen Tiefe des Gegners ein geschütztes Munitionsdepot, einen Flugplatz oder eine mächtige Fortifikationsanlage vollkommen zu vernichten. Mit einer noch größeren Reichweite von bis zu 500 Kilometern und mit taktischen Kernwaffen mit analogen Eigenschaften sind die „Iskander“-Raketenkomplexe imstande, Ziele zu vernichten.
„Wenn der Präsident der Russischen Föderation erklärte, dass die weißrussischen „Iskander“ (-Komplexe) einen mit taktischen Kernwaffen bestückten Gefechtskopf haben können, so sind solche operativ-taktischen Raketenkomplexe keine Exportvariante, sondern „Iskander-M“, die in den Streitkräften der Russischen Föderation im diensthabenden System sind“, erklärte der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. „Und im Falle eines bewaffneten Konflikts mit der NATO werden solche operativ-taktischen Raketenkomplexe aus Weißrussland in der Lage sein, praktisch alle Ziele in Polen und den Staaten des Baltikums, aber auch in anderen Ländern der Allianz – in Rumänien, der Slowakei und in Tschechien – zu treffen. Unter anderem, um die Handlungen der russischen Friedenstruppen in Moldawien und im Falle einer Verschlechterung der Situation in der Zone der militärischen Sonderoperation und realer Bedrohungen für den Unionsstaat auf dem gesamten Territorium der Ukraine zu sichern“. Netkatschjow wies auf jene Tatsache hin, dass die Flugzeuge und operativ-taktischen Raketenkomplexe mit taktischen Kernwaffen, die in Weißrussland stationiert sind, „in diesem Fall eine strategische Rolle spielen, da sie erlauben, in der operativ-strategischen Tiefe erhebliche Territorien, die an den Grenzen der Russischen Föderation und Weißrusslands liegen, zu kontrollieren“.
„Hier muss man aber auf der Hut sein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass als Antwort auf die Handlungen Russlands in Polen und der Ukraine amerikanische taktische Kernwaffen auftauchen können“, meint der General. Er lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass früher, im April vergangenen Jahres, der polnische Vizepremier und Vorsitzende des Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigungsfragen, Jarosław Kaczyński, bereits erklärte hätte, dass Polen bereit sei, bei sich Kernwaffen der USA zu stationieren. Über derartige Ziele im Rahmen der angeblichen „Ungerechtigkeit des Budapester Memorandums“ und einer möglichen Wiederherstellung des Nuklearstatus der Ukraine hatte auch deren Präsident Wladimir Selenskij (was von Moskau auch als ein Vorwand für den Beginn des Krieges gegen das Nachbarlandes ausgenutzt wurde – Anmerkung der Redaktion). Solch eine Forderung unterstützten auch einige polnische Politiker. Unter anderem hat auch Polens Ex-Außenminister und Abgeordneter im Europaparlament Radosław Sikorski Russland einer Verletzung des Budapester Memorandums bezichtigt. Im Sommer vergangenen Jahres hatte er in einem Interview für ukrainische Medien die Länder des Westens aufgerufen, der Ukraine Kernwaffen „zu schenken“, da sie (die Ukrainer – Redaktion) „ein Recht auf diese haben“.
Derweil demonstriert das Pentagon vorerst Ruhe hinsichtlich der Möglichkeit einer Stationierung taktischer Kernwaffen durch Russland in Weißrussland. „Wir haben die Meldungen über die Erklärung Russlands gesehen und werden weiterhin diese Situation beobachten“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters einen Auszug aus einer Erklärung des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Zur gleichen Zeit sieht Washington keine Ursachen, um die eigene Haltung zur Frage nach Kernwaffen zu ändern. „Wir haben keinerlei Gründe, die Modalitäten für die Arbeit unserer strategischen Nuklearkräfte zu verändern. Und wir sehen keinerlei Anzeichen dafür, dass sich Russland vorbereite, Kernwaffen anzuwenden“, betonte man im Pentagon.
Vor diesem Hintergrund demonstrieren einige westliche Experten, Medien und Außenministerien ihre Besorgnis über die Situation. Deutschlands Auswärtiges Amt bezeichnete die Erklärung von Russlands Präsidenten Wladimir Putin über die Stationierung taktischer Kernwaffen in Weißrussland „als anhaltenden Versuch einer nuklearen Einschüchterung“, meldete die Tageszeitung „Die Welt“. Und Reuters meldete unter Berufung auf Angaben aus den USA, dass Russland angeblich „rund 2.000 taktische nukleare Gefechtsköpfe hat, d. h. zehnmal mehr als Washington“. Nach Meinung der Agentur „ist die erste Stationierung von nuklearen Gefechtsköpfen durch Russland seit Mitte der 1990er Jahre außerhalb seines Territoriums eine signifikante Veränderung in der Politik der russischen Regierung“. Dabei zitiert Reuters den amtierenden Direktor der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), Daniel Högsta: „Solange Präsident Putin Kernwaffen hat, kann Europa nicht in Sicherheit sein. Er rechtfertigt diese gefährliche Eskalation damit, dass die NATO-Mitglieder im Verlauf vieler Jahrzehnte Kernwaffen miteinander geteilt haben. Wenn aber die Länder der Welt Mitbeteiligte des Vorgehens bleiben, wenn sie in den Kernwaffen kein globales Problem sehen, sondern etwas Anderes, so hilft dies nur Putin“, ist er sich sicher.