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Selenskij legte 20-Punkte-„Basisdokument“ für die Beendigung des Ukraine-Krieges vor


Zum ersten Mal hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij am 24. Dezember den Entwurf für ein 20 Punkte umfassendes „Basisdokument“ für eine Ukraine-Konfliktregelung vorgelegt. Darüber berichteten nicht nur ukrainische Medien, sondern auch russischsprachige Telegram-Kanäle und Medien Russlands. Parallel dazu seien noch andere Materialien vorbereitet worden, wie Selenskij erklärte, die für eine Beendigung des Krieges notwendig seien. Vorausgegangen waren mehrere Wochen intensiver Verhandlungen von Vertretern der Trump-Administration mit der ukrainischen Seite und mit der russischen. Begleitet wurden sie von Veröffentlichungen in der westlichen Presse, während man sich in Russland stets bedeckt hielt. Man halte nichts von einer Lautsprecher-Kommunikation zu den sensiblen Fragen einer Friedensregelung. Überdies wurde stets durch die russischen Vertreter betont, dass man gegen eine Feuerpause sei. Nötig sei ein langfristiger und stabiler Frieden mit Sicherheitsgarantien nicht nur für Kiew, sondern auch für Moskau. Und: Russland bestehe auf eine Beseitigung der ursprünglichen Ursachen für den Beginn des Konflikts.

Derweil meldet das russische Verteidigungsministerium täglich immer neue Erfolge an der Front, berichtet über massive Schläge gegen militärische und damit verbundene Infrastrukturobjekte (vor allem in der Energiewirtschaft) in der Ukraine, wobei Opfer unter der Zivilbevölkerung unter den Teppich gekehrt werden. Vieles kann nicht überprüft werden. Dies gilt ebenso für die ukrainischen Drohnenangriffe, die Objekten der Energiewirtschaft und Ölverarbeitung in Russland arg zugesetzt haben, aber auch unter der russischen Zivilbevölkerung viele Opfer verursachten.

All dies bildet den Hintergrund für das Streben von US-Präsident Donald Trump, den russisch-ukrainischen bewaffneten Konflikt zu beenden. Freilich geht das nicht so schnell, wie es sich Trump zu Beginn seiner zweiten Amtszeit vorgestellt hatte. Bekanntlich gab der am 21. November veröffentlichte Wortlaut der Washingtoner Variante für einen Friedensvertrag neue spürbare Impulse für die Anstrengungen auf dem Weg zur Beendigung des Krieges. Von den ursprünglichen 28 Punkten sind inzwischen zwanzig geblieben, worüber sich Wladimir Selenskij erstmals am 2. Dezember geäußert hatte. Nun sind sie, diese Punkte vorgelegt worden. Der Präsident der Ukraine erklärte dabei, dass er am 24. Dezember von der russischen Seite zu diesem Entwurf eine Antwort erwarte. Diese Reaktion bleibt jedoch mit Sicherheit aus, zumal es Kremlsprecher Dmitrij Peskow in seinem Mittwoch-Telefonbriefing ablehnte, die in den Medien aufgetauchten Punkte des sogenannten Kiewer Friedensplans für die Ukraine zu kommentieren.

Was konkret beinhaltet der Entwurf des „Basisdokuments“? Worüber müssten Moskau, Kiew und Washington sowie die Europäer (die Moskau eigentlich gar nicht am Verhandlungstisch sehen will) als Vermittler weiter verhandeln? „NG Deutschland“ hat eine Übersetzung der 20 Punkte lt. „Ukrainskaya Pravda“ vorbereitet, die zu einem Rahmen-Dokument laut Auffassung von Selenskij werden sollen. „Jetzt bin ich bereit, den Entwurf eines 20-Punkte-Dokuments durchzusprechen. Und dies ist ein Dokument, das Framework heißt, ein Basisdokument über die Beendigung des Krieges, ein politisches Dokument zwischen uns, Amerika, Europa und die Russische Föderation“, zitierte die „Ukrainskaya Pravda“ den Präsidenten der Ukraine.

Punkt 1: Die Souveränität der Ukraine wird erneut bestätigt werden. Wir konstatieren, dass die Ukraine ein souveräner Staat ist. Und alle Unterzeichner des Abkommens bestätigen dies mit ihren Unterschriften.

Punkt 2: Dieses Dokument stellt ein vollkommenes und bedingungsloses Nichtangriffsabkommen zwischen Russland und der Ukraine dar. Betont wird, dass für die Aufrechterhaltung eines langfristigen Friedens ein Monitoringmechanismus zur Kontrolle der Berührungs- (Front-) Linie mit Hilfe eines unbemannten Monitorings aus dem Weltall, zur Gewährleistung einer frühen Benachrichtigung über Verstöße und Beseitigung von Konflikten geschaffen wird.

Punkt 3: Die Ukraine muss zuverlässige Sicherheitsgarantien erhalten.

Punkt 4: In Friedenszeiten ist vorgesehen, die Personalstärke der Streitkräfte der Ukraine auf einem Stand von 800.000 zu bewahren.

Punkt 5: Die Vereinigten Staaten, die NATO und die europäischen Signatarstaaten müssen der Ukraine Sicherheitsgarantien gemäß einer Logik, die dem Artikel 5 (des NATO-Statuts – Anmerkung von „NG Deutschland“) nahekommt, gewähren.

— Wenn die Russische Föderation erneut die Ukraine überfällt – außer einer koordinierten militärischen Antwort werden alle globalen Sanktionen gegen Russland wieder in Kraft gesetzt.

— Wenn die Ukraine auf das Territorium der Russischen Föderation vordringt oder ohne eine Provokation das Feuer gegen das Territorium Russlands eröffnet, werden die Garantien als ungültige angesehen. Wenn aber die Russische Föderation das Feuer gegen die Ukraine eröffnet, werden die Garantien wirksam.

— Separat wurde eine Kompensierung für die USA für die gewährten Garantien erwähnt. Aber nach Aussagen Selenskijs hat man diesen Unterpunkt entfernt, da die ukrainische Seite nicht versteht, was konkret gemeint ist.

— Das Abkommen hebt nicht die bilateralen Vereinbarungen zur Sicherheit der Ukraine mit anderen Staaten auf (es geht dabei um mögliche Abkommen mit den Ländern der „Koalition der Willigen“ und den Partnern außerhalb Europas).

Punkt 6: Russland muss juristisch eine Nichtangriffspolitik in Bezug auf die Ukraine und Europa verankern – mittels notwendiger Gesetze und Ratifikationsprozeduren, unter anderem durch eine Abstimmung in der Staatsduma (gekennzeichnet als ein Vorschlag der USA).

Punkt 7: Für die Ukraine werden ein EU-Beitritt zu einer bestimmten Zeit und ein zeitweiliger vorrangiger Zugang zum europäischen Markt festgeschrieben. Zur gleichen Zeit ist der konkrete Termin für eine Mitgliedschaft Gegenstand gesonderter Erörterung. Und er erfordert, wie betont wird, eine Bestätigung seitens Europas.

Punkt 8: Abgestimmt werden soll ein „Entwicklungspaket für die Ukraine, das in einem gesonderten Investitionsabkommen über ein künftiges Prosperieren verankert wird.  In ihm geht es unter anderem um:

— die Schaffung eines Entwicklungsfonds für Investitionen in schnell wachsenden Bereichen (Technologien, Data-Zentren, künstliche Intelligenz);

— eine Zusammenarbeit der USA und amerikanischer Unternehmen mit der Ukraine beim Wiederaufbau, bei der Modernisierung und beim Betrieb der Gas-Infrastruktur;

— einen Wiederaufbau und eine Erneuerung der zu Schaden gekommenen Territorien, Städte und Wohnviertel;

— eine Entwicklung der Infrastruktur,

— die Förderung von Bodenschätzen und Gewinnung von Naturressourcen;

— die Vorbereitung eines speziellen Finanzierungspakets durch die Weltbank;

— die Schaffung einer hochrangigen Arbeitsgruppe und die Ernennung eines Administrators/Koordinators für das „Prosperieren“ zwecks Realisierung eines Wiederaufbauplans.

Punkt 9: Geplant ist, mehrere Fonds für einen Wiederaufbau der Wirtschaft, die Rekonstruktion der zerstörten Territorien und für humanitäre Zwecke zu schaffen. Das erklärte Ziel ist, 800 Milliarden Dollar zu gewinnen (Kapital, kostenlose Zuschüsse, Obligationen, Beiträge des privaten Sektors).

— Die USA und die europäischen Staaten sollen ein Fonds von Kapital und kostenlosen Zuschüssen in einem Umfang von etwa 200 Milliarden Dollar für ein Investieren in der Ukraine bilden.

— Für den Nachkriegswiederaufbau sieht man ein breites Spektrum an Finanzinstrumenten vor. Internationale Institute sollen diese Prozesse verstärken.

— Die Ukraine deklariert eine Implementierung der besten internationalen Standards für die Gewinnung ausländischer Direktinvestitionen.

— Gesondert wird das Recht der Ukraine auf eine Wiedergutmachung von Verlusten fixiert.

Punkt 10: Die Ukraine wird den Prozess des Abschlusses eines Freihandelsabkommens mit den USA beschleunigen.

Punkt 11: Die Ukraine bestätigt den Status eines kernwaffenfreien Staates entsprechend dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen.

Punkt 12: Vorgeschlagen wird, das AKW Saporoschje in einem gemeinsamen Format zu betreiben.

— die amerikanische Idee: eine gleichmäßige Aufteilung der Kontrolle, und die USA soll der Hauptmanager eines Joint-Ventures sein.

— die ukrainische Herangehensweise: ein Joint-Venture der Ukraine und der USA mit einem Verhältnis von 50/50, wobei die Hälfte der erzeugten Elektroenergie an die Ukraine geht, und die zweite Hälfte an die USA (die weiter selbst deren Absatz bestimmen).

Punkt 13: Die Ukraine und die Russische Föderation sollen Bildungsprogramme implementieren, die ein gegenseitiges Einvernehmen und Toleranz unterstützen sowie gegen Rassismus und Vorurteile wirken. Für die Ukraine wird gleichfalls die Implementierung der EU-Normen hinsichtlich einer religiösen Toleranz und eines Schutzes der Sprachen der Minderheiten festgeschrieben.

Punkt 14: Territoriale Aufteilung. Die Russische Föderation zieht ihre Truppen aus den Verwaltungsgebieten Dnepropetrowsk, Nikolajew, Sumy und Charkiw für ein Inkrafttreten dieses Abkommens ab.

Variante A: In den Verwaltungsgebieten Donezk, Lugansk, Saporoschje und Cherson ist die Linie der Lage der Truppen am Tag der Unterzeichnung dieses Abkommens die de facto anerkannten Berührungslinie. Eine Arbeitsgruppe wird für die Bestimmung der Bewegung der Kräfte, die für eine Beendigung der Kampfhandlungen notwendig sind, aber auch für die Bestimmung der Parameter der potenziellen künftigen Wirtschaftssonderzonen zusammenkommen.

Variante B: Diskutiert wird eine potenzielle freie Wirtschaftszone auf dem Territorium des Donbass. Für deren Bestätigung ist die Ukraine bereit, ein Referendum in den von ihr kontrollierten Gebieten durchzuführen. Aber zur Abstimmung wird die Frage nach einer Unterstützung des gesamten Vertrags gebracht. Und nicht nur eines Punktes über eine freie Wirtschaftszone. Wenn eine Entscheidung getroffen wird, wird zwischen der Ukraine, den Vereinigten Staaten und Russland ein gesondertes Abkommen abgeschlossen, das den Status der Sonderwirtschaftszone bestimmen wird.

Punkt 15: Nach Abstimmung der künftigen Territorialvereinbarungen verpflichten sich sowohl die Russische Föderation als auch die Ukraine, diese Vereinbarungen nicht gewaltsam zu verändern.

Punkt 16: Russland wird die Ukraine nicht daran hindern, den Fluss Dnepr und das Schwarze Meer für die Ziele einer kommerziellen Tätigkeit zu nutzen. Abgeschlossen werden ein separates See-Abkommen und ein Abkommen über den Zugang, dass die Freiheit für die Schifffahrt und für Transporte umfassen wird. Die Kinburn-Nehrung wird entmilitarisiert.

Punkt 17: Für die Klärung offener Fragen wird ein humanitäres Komitee gebildet.

  1. Alle Kriegsgefangenen einschließlich der durch das russische System seit 2014 verurteilten werden entsprechend dem Prinzip „alle gegen alle“ ausgetauscht.
  2. Alle festgenommenen Zivilisten und Geiseln inklusive Kinder und politischer Gefangener werden zurückgeführt.
  3. Verabschiedet werden Maßnahmen für eine Lösung der Probleme und das Überwinden der Leiden der Kriegsopfer.

Punkt 18: Die Ukraine soll so schnell wie möglich nach Unterzeichnung des Abkommens Wahlen abhalten. Zuerst – Präsidentschaftswahlen. Die Werchowna Rada muss einen Mechanismus ausarbeiten und dafür stimmen, wie man sie vor Aufhebung der Einschränkungen aufgrund des Kriegszustands durchführen kann. Danach – Parlaments- und Kommunalwahlen.

Punkt 19: Dieses Abkommen wird ein juristisch verbindliches sein. Seine Erfüllung wird durch einen Friedensrat unter Vorsitz von Präsident Trump kontrolliert und garantiert werden. Die Ukraine, Europa, die NATO, Russland und die Vereinigten Staaten werden Teil dieses Mechanismus sein. Bei einem Verstoß werden Sanktionen vorgesehen.

Punkt 20: Nachdem alle Seiten diesem Abkommen zugestimmt haben, beginnt unverzüglich eine vollkommene Feuereinstellung.“

Diese Punkte des angestrebten Basisdokuments reflektieren in vielen Positionen die Sichtweise der Ukraine und der Vereinigten Staaten. In Teilen — die Herangehensweise der amerikanischen Seite. Und eine Reihe von Punkten erfordern nach Aussagen Selenskijs eine Überarbeitung und Abstimmung. Zumal Russland vieles an dem Dokument nicht gefallen wird. Zum Beispiel der Punkt über das AKW Saporoschje. Aber nicht nur der. Der ukrainische Präsident betonte im Übrigen ebenfalls, dass es mit der amerikanischen Seite vorerst keine gemeinsame Position in Bezug auf zwei Fragen – der Territorien im Gebiet Donezk und über das erwähnte Kernkraftwerk. Gleichzeitig seien jedoch die Seiten hinsichtlich der meisten anderen Punkte einander „wesentlich nähergekommen“. Und insgesamt sei bereits ein Konsens gefunden worden. Der Ball liegt nun also auf der Seite Moskaus.