Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Shaman der großen Politik


Der Künstler Shaman, dessen wahrer Name Jaroslaw Dronow ist, ist zu einem gewissen Phänomen nicht nur im russischen Show-Business, sondern auch in der öffentlichen Politik geworden. Was ist aber Shaman aus politischer Sicht und warum sieht sein ständiges Rücken in den Vordergrund als ein dem Volk am nächsten stehender und als patriotischster Künstler als ein fragliches aus?

Allem nach zu urteilen, haben die Producer von Jaroslaw Dronow gerade auch auf ein Politisieren gesetzt, als sie dieses Projekt (und Shaman ist gerade ein Projekt, das für ein durchaus verständliches Massen- und nicht allzu anspruchsvolles patriotisches Publikum bestimmt ist) mit dem Song „Ich bin ein Russe“ starteten.

Wir werden nicht über die Qualität jenes Produkts sprechen, das der 32jährige Dronow interpretiert. Dafür gibt es Musikkritiker. Da nun aber Shaman an der öffentlichen Politik teilnimmt (und dem ist so, denn er beteiligte sich an der Nominierung von Präsident Wladimir Putin für eine neue Amtszeit), macht es Sinn, sich gerade diese Seite seines Wirkens besonders aufmerksam anzuschauen.

Shaman präsentiert man nicht selten in dem informellen Status eines „Kreml-Projektes“. Dessen sind sich sowohl einige seiner Fans als auch jene, die sowohl den Kreml als auch Shaman gelinde gesagt nicht mögen, sicher. Jedoch sieht solch eine Definition in Bezug auf Jaroslaw Dronow wie eine erfundene aus. Der Kreml beteiligte sich nicht am Pushen seiner Person, und in den ideologischen Strukturen hat man die Texte seiner Lieder nicht abgesegnet. Die für Ideologie zuständigen Beamten haben sich einfach rechtzeitig an ihn gehängt, womit sie ihre Pleiten und Flops in der Arbeit zum Aufbauen neuer patriotisch eingestellter Stars verschleierten. Recht hat man mit den Worten, wenn man Shaman aufgrund des Songs „Ich bin ein Russe“ als ein Projekt des Kremls bezeichnet. Aber mit genau solch einem Erfolg und entsprechend einer Analogie kann man Konstantin Kintschew mit seinem Lied „Der Himmel der Slawen“ als eben solch ein Projekt bezeichnen. Aber irgendwie sperrt sich da etwas im Inneren.

Allerdings, als Dronow bereits im ganzen Land in aller Munde war, begriffen augenscheinlich kluge Leute aus den ideologischen Verwaltungen, dass dies eine wertvolle Informationsressource ist. Man begann, ihn zu vielen Veranstaltungen mit nicht geringen Honoraren einzuladen. Das ist dies, worüber sich der Chef der „Russischen Mediagruppe“, Wladimir Kisseljow äußerte, als er sich in einem seiner Interviews darüber beklagte, dass die Kreml-Kuratoren „Shaman wie einen Top-Act zu allen Veranstaltungen herankarren und ihm irrsinnige Gelder zahlen“.

Die informationsseitige Unterstützung des Sängers ist auch auf dem nötigen Niveau. Dies ist nicht zu übersehen, wenn in den „Dzen Nachrichten“ praktischen jeden Tag unter den Spitzenmeldungen Nachrichten über den Sänger auftauchen, mitunter mit den merkwürdigsten Überschriften à la „Shaman verneigte sich vor einem Verehrer“ oder „Shaman ist mit einem Flugzeug angeflogen“. Dies befeuert zumindest seine Wiedererkennbarkeit.

Der 32jährige selbst bemüht sich eifrig, das Image eines „Jungen von euch“ zu vermitteln, und weist regelmäßig alle Vermutungen zurück, dass er solch ein Projekt eines „kommerziellen Patriotismus“ sei. Er erklärt, dass er völlig aufrichtig singe. Andernfalls würden die Menschen eine Falschheit spüren. Und er spricht von einem Nichtvorhandensein finanzieller und Eigentumsvermögen. In einem seiner Interviews erklärte er, dass er sich keine eigene Wohnung zugelegt habe, in einer Mietwohnung wohne und daher vom Wesen her ein „Obdachloser“ sei.

Möglicherweise ist dem auch so, doch schafft dies beispielsweise nicht dies aus der Welt, dass Dronow allein für ein Konzert am Tag der Stadt in Norilsk acht Millionen Rubel bekam, wie Medien unter Berufung auf Angaben vom Internetportal für staatliche Einkäufe schrieben. Und vor relativ kurzer Zeit hat er seinen Preis für Auftritte bei Unternehmensveranstaltungen um das 2fache angehoben, der, wie die Medien schreiben, gleichfalls mehrere Millionen ausmacht.

Journalisten äußerten die Annahme, dass Shaman angeblich Wohnraum – gemietet oder nicht – in einer Elite-Siedlung habe. Dronow weist aber diese Anspielungen zurück und sagt, dass er in Moskau in einer Mietwohnung wohne und über keinerlei Besitz verfüge. Zum Nachdenken veranlassen die Informationen über in den Medien veröffentlichte erstaunliche Rider (Katalog von Anforderungen für Auftritte – Anmerkung der Redaktion) des Sängers, die Autos der Marke „Maybach“ und Gänsefeder-Kopfkissen verlangen.

Natürlich hat keiner vor, in die Taschen des Künstlers zu schauen. Wenn der Sänger in der Lage ist, volle Säle zu bekommen, kann man sich für ihn nur freuen. Jedoch sind die Nutzung des Images des patriotischsten Künstlers und das Aufdrängen eines Interpreten als einen besonderen, einzigen und ideologisch richtigen für beinahe jedes Konzert, für fast jede Aktion eine völlig andere Sache. Dies diskreditiert Shaman an sich, veranlasst aber auch, den entsprechenden Stadtverwaltungen, Steuerämtern und dem Kartellamt eine ernste Frage zu stellen. Schließlich werden nicht selten die Honorare für den „Patriotischsten“ aus den Stadthaushalten, mit Geldern der Steuerzahler gezahlt. Und seit wann muss man für Patriotisches zahlen?

Somit lösen bei weitem nicht die vollen Säle und nicht die patriotische Selbstidentifikation des Sängers Unverständnis der Öffentlichkeit aus, sondern das Ausgeben von Volksgeldern für dessen Produkt – nach Meinung von Kritikern des Künstlers ein übermäßig beworbenes und unaufrichtiges.

Dazu kann man auch die Geschichte darüber hinzufügen, dass sich Shaman billig einkleide (Kleidung für 699 Rubel, was etwa 7 Euro entspricht) und mit der Metro und nicht mit einem Privatauto fahre. Es ist durchaus möglich, dass dies gleichfalls Details des Images sind, die notwendig sind, um zu zeigen, wie nah er doch dem Volke ist. Unter Berücksichtigung der Millionen-Honorare sieht dies zweifelhaft aus und wirkt wie ein Reklame-Trick. Dies ist aber rein aus dem Bereich von Vermutungen.

Im Rahmen eben dieser ganzen Logik des Promotens und der Ausprägung des Images eines „Jungen aus dem nichts, der es geschafft hat“ bezeichnet man Shaman als den populärsten (Pop-) Sänger des Landes. Jedoch hängt dies davon ab, von welcher Seite aus man sich dies anschaut. Entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2023, die der führende Musik-Service in Russland und GUS-Ländern „VK Musik“ veröffentlichte, kommt Shaman in der Top-Gruppe überhaupt nicht vor. Möglicherweise ist die Popularität von Shaman etwas übertrieben. Interessant ist in dieser Hinsicht die von der Internetseite „Fontanka“ verbreitete Information, wonach Eintrittskarten zu seinem Konzert in Sankt Petersburg durch Stadtteil-Verwaltungen aufgekauft wurden.

Eine völlig traurige Geschichte ist auch das Singen der Hymne Russlands durch Shaman angeblich im Duett mit dem Präsidenten im vergangenen Jahr. Der Sänger selbst erklärte, dass dies ein Duett gewesen sei, von dem er „nicht einmal hätte träumen können“. Eine Nuance besteht nur darin, dass es keinerlei Duett mit dem Kremlchef gegeben hatte. Es hatte offensichtlich mehr als nur zwei Sänger gegeben. Um genauer zu sein, rund zwanzig Künstler, die auf der Bühne hinter dem Staatsoberhaupt gestanden und gesungen hatten. Keiner von ihnen – mit Ausnahme von Shaman – hat auch nur andeutungsweise von einem Singen im Duett mit Putin gesprochen. Dronow hatte damals laut Videoaufnahmen bis zur 40. Sekunde gesungen, hört danach auf. Und mehr noch, weiter ist er einfach gar nicht mehr im Bild. Zusammen mit dem Präsidenten singen beispielsweise Nikolaj Rastorgujew und Nikolaj Baskow.

Entsprechend der Expertenmeinung von Wladimir Kisseljow, des Chefs der „Russischen Mediagruppe“, eines erfahrenen Musikers und Produzenten, habe bei der kürzlichen Nominierung von Wladimir Putin Shaman Russlands Hymne im Playback-Regime gesungen. Kisseljow fügt hinzu: Im Unterschied zu Dronow hätten der Regisseur Nikita Michalkow, der Sänger Nikolaj Rastorgujew und der Schauspieler Wladimir Maschkow, die sich im Saal befunden hatten, die Hymne live gesungen.

„Besteht darin nicht ein Gipfel von Zynismus, von einem Sich-entgegenstellen und einer verschleierten Missachtung des Präsidenten und dessen Team, zu erklären, dass „ich jetzt das tun werde, was ich am besten tun kann – ich singe“, und sich dabei in keiner Weise geniert und ohne mit der Wimper zu zuckern und das Playbackband einzuschalten?“, erklärte er. „Sicherlich hätten sich Iosif Kobson, Lew Leschtschenko und Boris Schtokolow – nun Männer – gewundert, wenn man ihnen bei großen Konzerten des Staates sagen würde: „So, es muss nicht gesungen werden, schaltet das Band an“.

Nach Meinung von Wladimir Kisseljow ist es „sehr interessant, dass sich eine Kritik dieses Sängers Künstler eines absolut männlichen Verhaltens, einer absolut festen staatsbürgerlichen Position, ich würde gar sagen, einer Männlichkeit erlauben: Wladimir Kisseljow, Leonid Agutin, Igor Shurawljow aus der Gruppe „Allianz“, Ilja Resnik und andere, die keine merkwürdige Liebe für Lurex, enganliegende Hosen aus Leder, ein Einklemmen des Mikrofons hinter dem Gürtel im Bereich des Schritts und überhaupt für einen überzogenen Hang zum Lederpredigen“.

Einerseits ist es verständlich, dass all diese nichttrivialen Geschichten von einer Mietwohnung und billigen Kleidung bis zu einem Singen mit dem Staatsoberhaupt im Duett für das Image und die Popularität Dronows. Und Popularität für einen Künstler ist eine direkte und unmittelbare Einnahmequelle. „Irgendwie gibt es in all diesem aber viele zweifelhafte Umstände und Überziehungen“, meint Wladimir Kisseljow.

Die Versuche des Leaders der Gruppe „Semljane“, die Wahrheit den Kuratoren von Shaman zu vermitteln, lösen jedoch einen vehementen Widerstand aus. Im Internet kann man hunderte negative Kommentare finden. Aber Wladimir Kisseljow zieht es vor, auf das Negative nicht zu reagieren. „Ich bin in jenem Alter und habe so viele Jahre im Show-Business zugebracht, dass ich schnell die Stimme des Volkes von bezahlten Bloggern unterscheide, deren Follower für 500 Rubel eingekauft worden sind. Anerkennung sei dem PR-Dienst des jungen Künstlers gezollt. Aber dieser Dreck kann mir ganz bestimmt nichts anhaben. Panzer fürchten keinen Dreck“.

Macht sich denn keiner der Ideologen, die Dronow betreuen, keine Gedanken darüber, dass, indem sie diesen Sänger allen übrigen Künstler entgegenstellen, darunter Volks- und Verdienten Künstlern – Nikolaj Baskow, Alexander Marschall, Julia Tschitscherina, Nikolaj Rastorgujew und anderen -, sie damit große Künstler in die Ecke stellen, die dem Land viele Jahre lang treu und ehrlich gedient haben?

Und hier ergibt sich bereits keine musikalische, sondern eine gesellschaftspolitische Frage: Und ist es richtig, dass eine so mit Mythen versehene Figur Anspruch auf die Rolle eines patriotischen Orientierungspunktes und Symbol, aber auch auf eine bestimmte Rolle in der politischen Arena erhebt?