Der Vorsitzende des ZK der KPRF Gennadij Sjuganow hat (s)ein Bild konstruktiver Beziehungen der Partei mit den Herrschenden vorgestellt. Es stellt sich heraus: Der Führer der Linken trifft sich oft mit Präsident Wladimir Putin, überzeugt ihn, den liberalen Kurs durch einen linkszentristischen zu ersetzen, und gibt Ratschläge – beispielsweise für eine Absetzung der Regierung. Sich zu radikalisieren beabsichtigt Sjuganow nicht, um das Land zu keinem Bürgerkrieg und einer Intervention feindlicher Kräfte zu treiben. Experten sind der Auffassung, dass dies gleichzeitig sowohl eine Friedensbotschaft an den Kreml als auch eine Erläuterung gegenüber den Radikalen an der Basis ist.
Sjuganow hat sich schon lange nicht so ausführlich über die Sichtweise der Linken bezüglich der herrschenden Macht geäußert. Sicherlich seit Mitte der 90er Jahre, als er die roten und weißen Patrioten aufgerufen hatte, sich gegen den prowestlichen Jelzinismus zu vereinigen. Danach aber hatte er selbst auf eine Verschärfung des Kampfes gegen ihn verzichtet.
Dabei betonte der KPRF-Chef in einem Interview des Internetportals „Kontinent Sibirien Online“ mehrfach, dass er sich mit dem Präsidenten zu strategischen Problemen treffe: „Wir haben Putin ein reales Programm unterbreitet. Und verbal billigt er es. Tatsächlich aber sind keine Entscheidungen getroffen worden. Da habe ich mich am Vorabend der Pandemie, Anfang des Jahres 2020 mit dem Präsidenten getroffen und ihn bis in die späten Abendstunden davon zu überzeugen versucht, dass die Regierung Medwedjews nicht mit der Umsetzung seiner Entscheidungen fertig werde. Er stimmte zu“.
Sjuganow erläuterte auch die Politik der Gemäßigtheit seiner Partei: „Wenn ich 1996 keine Vernunft und Ausgewogenheit demonstriert hätte, wäre ein Bürgerkrieg im Land garantiert gewesen. Damals hatte sich Russland in zwei gleiche Teile gespalten“. Dabei ziehe er es dennoch vor, nachdem er gar erklärte, dass im Falle einer neuen Konfrontation mit den Herrschenden die KPRF zum Kampf bereit sei, nicht bis zum Äußersten zu gehen. „Wir haben uns mit dem Präsidenten getroffen. Ich habe gebeten, dass er den Generalstaatsanwalt herbeirufe, und sagte, dass, wenn man uns erneut einen Krieg erklären würde, wie dies Jelzin getan hatte, wir die Herausforderung annehmen würden. Für das Land wird dies aber äußerst schädlich sein. Wir haben das Land bereits zweimal vor einem Bürgerkrieg gerettet. Und wir haben das fitteste Team von klugen, erfahrenen und gewissenhaften Menschen. Wonach wir uns scheinbar geeinigt hatten. Jetzt aber, vor dem nächsten Parteitag, hat man uns viele Monate in Folge durch die Mangel genommen“.
Augenscheinlich liegt dies alles daran, dass Sjuganow, wie bereits schon mehrfach eindeutig zu verstehen gibt, dass die KPRF bereit sei, zu jedem beliebigen Zeitpunkt „Einiges Russland“ als Partei der Herrschenden, als Machtpartei zu ersetzen, um natürlich ihren linkszentristischen Kurs zu verfolgen, aber dennoch unter Führung des amtierenden Präsidenten. Gerade Putin schlägt Sjuganow direkt vor, sich auf die Kommunistische Partei zu stützen, wobei er davor warnt, dass er früher oder später unweigerlich diese Entscheidung treffen müsse, um keinen Untergang des Landes im Ergebnis der Unzufriedenheit im Land und eines äußeren Drucks zuzulassen. Diese Offenbarungen sehen wie eine Anerkennung einer einvernehmlichen Politik mit dem Kreml aus. Jedoch ist schwerlich dem zu glauben, dass Sjuganow so etwas offen proklamieren kann.
Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow ist der Auffassung, dass sich Sjuganow vor den Wahlen auf neue Art offenbaren und seine Antwort auf die oft von den Kommunisten gestellte Frage – weshalb sie den Führer nicht gegen eine weniger konformistische Figur austauschen – geben musste. „Sjuganow spielt va banque. In dem Interview demonstriert er die offizielle Position, wobei er sich als einen zielstrebigen und einflussreichen Politiker vorstellt, und erhöht die Kapitalisierung der KPRF. Er deutet an, dass er einerseits imstande sei, den Präsidenten zu beeinflussen, andererseits tatsächlich bereit sei, die KPRF als Ersatz für „Einiges Russland“ bei der Realisierung des Präsidentenprogramms anzubieten“, sagte der Experte. In der Realität könne selbst die oppositionellste Partei nicht umhinkommen, erläuterte Kalatschjow, die Wünsche sowohl der Wähler als auch der Herrschenden ins Kalkül zu ziehen. „Die heutige KPRF absorbiere in der Tat die linksradikalen Stimmungen, wobei sie die Protestrente in Gestalt von Abgeordnetenmandaten einsammelt. Es ist aber nicht richtig, die Führung der Linken eines Eigennutzes zu bezichtigen. Hier ist offensichtlich die Andeutung hinsichtlich des Dienens für eine gewisse höhere Idee auszumachen. Für den einen oder anderen scheint die Position der KPRF-Führung eine opportunistische zu sein, für sie selbst aber – eine messianische. Russland brauche angeblich 20 Jahre Ruhe und danach weitere 20 Jahre. Und in diesem Sinne unterstützt er aufrichtig Putin“. Folglich ist dieses Interview auch an die eigenen Kräfte gerichtet. Sjuganow rette sozusagen das Land, wobei er eine Stabilisierung der politischen Lage fördere, und verteidige en passant die Partei. Hier gibt es aber auch ein Appellieren an den Kreml: Die KPRF bleibe nach wie vor eine nützliche Partei.
Natürlich sei, konstatierte der Experte, die Andeutung dahingehend, dass die KPRF zu einer neuen Herrschaftspartei werden könne, weit von der Realität entfernt. Dazu sei das politische System nicht bereit. „Sjuganow versucht aber auch zu zeigen, dass die KPRF in der Lage sei, Verantwortung für das Land zu übernehmen, und zu unterstreichen, dass die Mängel im sozial-ökonomischen Bereich nicht die Schuld der Kommunisten seien. Das heißt: Er bittet das Aktiv, zu verstehen und den Radikalismus zu mäßigen“, erläuterte Kalatschjow. Die Perspektiven dieser Position seien solche, dass, solange das gegenwärtige System existiere, die KPRF ihre Nische einnehmen werde. Und die Situation zeige, dass das System eine große Festigkeitsreserve besitze. Das heißt: Auch die gegenwärtige Linie Sjuganows sei durchaus lebensfähig. Obgleich die KPRF an sich gegenseitig beim Kreml aufgrund der Forderungen eines Teils des Aktivs, den Kampf gegen die Herrschenden zu verschärfen, unter einem Verdacht stehe und mit Argwohn beobachtet werde.
Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, erläuterte der „NG“: „Gennadij Andrejewitsch erinnert daran, dass seine Partei die Proteststimmungen akkumuliere und deshalb den Offiziellen sowohl auf der Straße als auch im Parlament zum Vorteil gereiche. Und folglich sendet er dem Kreml das Signal, dass man die KPRF weder vor Ort noch auf föderaler Ebene nicht stören dürfe, die Wahlkampagne durchzuführen. Ja, die Partei müsse eine Agitationskampagne führen. Und folglich müsse man sich hinsichtlich der Kritik seitens der KPRF nachsichtig verhalten“. Der Experte erinnerte daran, dass die KPRF vor einem Vierteljahrhundert einen realen Einfluss auf die Politik ausgeübt hätte, als sie den Versuch unternahm, ein Impeachment Präsident Jelzin zu erklären, und in der Staatsduma die faktische Mehrheit besaß. Jetzt aber sei die Kommunistische Partei in das heutige Mehrparteiensystem eingebaut, wobei sie entsprechend den Regeln spiele. Da „sich aber die durchgehende Doppellinie ständig verschiebt – und jetzt verschiebt sie sich in Richtung der Linken, fühlt sich die KPRF nicht komfortabel und versucht daher durch die Worte ihres Anführers, die Nützlichkeit vor den Wahlen nachzuweisen“. Obgleich man andererseits, wie Makarkin anmerkte, dem Aktiv nachweisen müsse, das oppositioneller als die Führung sei, warum man sich nicht radikalisieren, sondern auf einer patriotischen Grundlage vereinen müsse. „Sjuganow führt Argumente zugunsten einer Kompromissposition an, signalisiert, dass die KPRF zu jeglichem Zeitpunkt beginnen könne, ihren Kurs zu verfolgen, das heißt zur herrschenden Partei zu werden, wenn der Präsident natürlich die Kommunisten zur Kenntnis nimmt. Aber an so etwas glaubt man nicht einmal unter dem loyalen Aktiv und umso mehr außerhalb von diesem“, unterstrich der Experte.