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Über die neuen Spielregeln für die gesellschaftspolitischen Medien


In der vergangenen Woche haben mehrere Internetmedien Benachrichtigungen von Roskomnadzor (Russlands Aufsichtsbehörde u. a. für das Internet – Anmerkung der Redaktion) erhalten. Das Amt verlangte, von den Internetseiten Nachrichten über den geplanten Oppositionsflashmob zur Unterstützung von Alexej Nawalny zu entfernen. Roskomnadzor behauptete, dass die Medien Informationen mit „Aufrufen zur Teilnahme der Bürger an Massenveranstaltungen, die unter Verletzung der festgelegten Ordnung erfolgen“ verbreiten würden.

Für die russischen Medien kann dies den Beginn eines neuen Lebens bedeuten, genauer gesagt: des Existierens nach neuen Regeln. Und es geht nicht nur darum, dass es schwierig ist, sich eine „festgelegte Ordnung“ für einen Flashmob vorzustellen. Früher war es für die Medien ausgereichend gewesen, die Nachricht über eine Oppositionsaktion mit den Worten zu ergänzen, dass sie durch die Behörden nicht sanktioniert, nicht mit ihnen abgestimmt worden sei. Scheinbar läuft alles darauf hinaus, dass solch eine Anmerkung wenig sein wird. Allein die Tatsache der Erwähnung nichtsanktionierter Aktionen, selbst wenn sie keine Ansammlung von Menschen an einem Ort vorsehen, wird vom Wesen her einem Aufruf, an ihnen teilzunehmen, gleichgesetzt.

Russlands Medien sind schon seit langem auf das Regime der Zusätze umgeschaltet worden. Es ist notwendig, die Aktualisierungen des Verzeichnisses der terroristischen und extremistischen und in Russland verbotenen Organisationen zu verfolgen, um nicht zu vergessen, die notwendigen Informationen in Klammern auszuweisen. Seit kurzer Zeit ist es obligatorisch geworden, auch die „ausländischen Agenten“ auszuweisen. Im Rahmen des Informierens über investigative Nachforschungen der einen oder anderen Stiftung oder über eine aktuelle Umfrage der einen oder anderen soziologischen Organisation müssen die Medien gleichzeitig den Lesern (Hörern, Zuschauern) auch noch mitteilen, wie die Offiziellen diesen Personen gegenüberstehen und wie sie es auch gern hätte, damit die Bürger diese Angaben zur Kenntnis nehmen.

Dies ist ein recht markantes Beispiel einer administrativen Informationsressource in Aktion. Politik, dies ist stets ein Kampf der Opposition gegen die Herrschenden und umgekehrt. Unter den Bedingungen einer normalen Demokratie sind die Bürger proportional sowohl darüber informiert, was die Herrschenden denken, als auch darüber, was deren Gegner sagen wollen. Jeglicher Wähler kann zwischen zwei Standpunkten jenen auswählen, der ihm passt. Und bei einem Sich-Bekanntmachen mit Informationen wird er nur durch den eigenen Wunsch eingeschränkt.

In Russland ist die Lage der Dinge eine andere. Einer der politischen Akteure, und zwar die Herrschenden, haben die Möglichkeit, die Erwähnungen des Gegners einzuschränken und die Informationen über seine Tätigkeit in strenge Rahmen zu setzen, wobei alles in der Regel in völliger Übereinstimmung mit den verabschiedeten Gesetzen und Beschlüssen der zuständigen Organe getan wird.

Den Massenmedien wird vom Wesen her eine Selbstzensur aufgedrängt. Bestrafungen für die Medien, die Warnungen von Roskomnadzor erhalten haben, sind durchaus real. Es versteht sich, nicht eine Institution, selbst wenn sie tausende Menschen anheuerte, ist in der Lage, alle Internetseiten, Zeitungen und Zeitschriften zu lesen, sich alle Fernsehsendungen anzuschauen und alles abzuhören, was im Rundfunk gesagt worden ist. Doch in den Medien an sich wird man nicht wissen können, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter die Lupe genommen wird, sprich: beobachtet wird und was nicht. Der eine oder andere wird hartnäckig alle gesetzgeberischen Hindernisse umgehen, andere aber (und die werden die Mehrheit sein) werden kein unnötiges Mal über irgendetwas schreiben oder berichten.

Die Forderungen, die Informationen über den Flashmob zu löschen, können lokale Zwischenfälle sein, doch sie wecken bei den Medien eine sorgenvolle Empfindung, den Eindruck, dass die Medien schlicht und einfach nicht alle neuen Spielregeln kennen und keinen Horizont für die Möglichkeiten sehen. Sie können Zeichen interpretieren. Aber keiner wird ihnen die Garantie geben, dass ihr Verständnis ein richtiges ist. Unter solchen Bedingungen über Politik zu schreiben, wird für jegliches von den Herrschenden unabhängiges Massenmedium wenn nicht zu einer unmöglichen, so doch zu einer äußerst belastenden, energie- und ressourcenaufwendigen, für das Nervensystem schädlichen und mitunter auch zu einer gefährlichen Beschäftigung, die nicht wenig Mut und die Bereitschaft, ständig Rechtskämpfe gegen das System zu führen, erfordert. Und die Forderungen, Informationen über Flashmobs zu entfernen, zeigen, dass das restriktive Instrumentarium nicht ausgeschöpft worden ist. Man kann keinerlei, selbst die härtesten und absurdesten Verbote nicht als die Endstation auffassen.