Die Operation „Nachfolger“ wird nicht abgeblasen, der Präsident lässt sich aber Zeit zum Manövrieren.
Wladimir Putin hat eingeräumt, dass er für ein weitere – in der Summe für eine fünfte – Präsidentenamtszeit kandidieren werde. „Für mich habe ich noch nichts entschieden. Ich schließe eine Möglichkeit dessen nicht aus. Wenn sich dies in Verfassung ergibt, die Möglichkeit zu kandidieren, werden wir schauen. Da werden wir schauen“, sagte er in einem Film des TV-Senders „Rossia-1“.
Die Möglichkeit, die Putin erwähnte, ist in den Verfassungsänderungen enthalten, und genauer in der Anmerkung zum Punkt 3 des Artikels 81. In der Presse und im Volke bezeichnet man dies lakonisch als ein Resetten der Amtszeiten. Verbreitet ist die Meinung, dass gerade im Interesse dieses Manövers auch ein ganzes Paket unterschiedlicher Veränderungen in das Grundgesetz eingebracht wird.
Gleichzeitig äußerte Putin die Meinung, die man als die entscheidende in der Frage nach dem Resetten ansehen kann. „Wenn dies nicht erfolgt, wird in zwei Jahren, ich weiß dies aus eigenen Erfahrungen, anstelle einer normalen rhythmischen Arbeit auf sehr vielen Ebenen der Machtorgane ein eifriges Ausschauhalten auf der Suche nach möglichen Nachfolgern beginnen“, erklärte er.
Ähnliche Äußerungen Putins erklangen im Jahr 2017, als man von ihm hartnäckig eine Antwort auf die Frage erhalten wollte, ob er für eine vierte Amtszeit kandidieren werde. Der Präsident hatte damals gesagt, dass nach Bekanntgabe des Beginns des Wahlkampfs alle „sofort zu arbeiten aufhören“ und daran denken, wie man seinen Platz bewahren kann. Das ist ein Putin-Standard: Er ist der Auffassung, dass man den Apparat im Tonus, das heißt in einer Spannung halten müsse.
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass jetzt genau das Gleiche passiert. Und die Worte Putins von einem „eifrigen Ausschauhalten“ sind eine durchaus aufrichtige Deklaration über Befürchtungen und Absichten. Der amtierende Präsident ist bereits 20 Jahre an der Macht. Er kennt ausgezeichnet das durch ihn selbst errichtete System, sieht dessen inneren Transformationen und begreift die Logik der Bürokratie aller Ebenen. In den Menschen, die an der Macht beteiligt sind und eine Einflussgruppe bilden, nehmen die Ambitionen zu. Und ein Aufeinanderprallen dieser Ambitionen kann sich als ein unweigerliches und unkontrollierbares erweisen, sobald genau bekannt wird, dass der gewohnte Schiedsrichter, das heißt Putin, abtritt. Die Schlussfolgerung? Das darf auch nicht bekannt sein. Und mehr noch: Alle haben zu denken, dass Putin sich nicht anschickt, nirgendwohin abzutreten.
Bedeutet dies ein Ende der neuen Operation „Nachfolger“? Eher eine Verringerung der Heftigkeit der öffentlichen Spekulationen zu diesem Thema. Putin wird sich nach Annahme der Änderungen ein riesiges Feld für ein politisches Manöver belassen. Er wird am ehesten weiter einen Nachfolger suchen, dabei aber nicht durch einen zeitlichen Rahmen eingeschränkt sein. Putin kann Ende 2023 bekanntgeben, dass er sich nicht auf eine neue Amtszeit einlassen werde. Er kann sich aber auch auf sie einlassen, dann jedoch entscheiden, vorzeitig abzutreten. Schließlich kann er wirklich noch für sechs Jahre an dеr Macht bleiben. Es ändert sich der Akzent: Putin tritt ab, wenn er selbst dafür die passenden Bedingungen schafft. Und er wird nicht anfangen, in aller Eile seinen Abtritt zu dieser Zeit vorzubereiten, wenn ihm dies das Gesetz vorschreibt.
Innerhalb von 20 Jahren hat Wladimir Putin die Gesellschaft an überraschende Personalentscheidungen gewöhnt. Keiner hatte gedacht, dass im Jahr 2007 Viktor Subkow zum Premierminister wird. Er erfüllte seine Aufgabe und verschwand im Schatten des Apparates. Genauso konnten nur wenige die Ernennung gerade von Michail Mischustin ins Amt des Regierungschefs im vergangenen Winter erwarten. Putin lässt sich von einer eigenen Logik leiten, wobei er den öffentlichen Bedürfnissen und Erwartungen keine Aufmerksamkeit schenkt.
Die Offiziellen rechtfertigen das Resetten der Amtszeiten damit, dass dies Stabilität gewährleisten werde. Dies ist aber keine Stabilität der Machtinstitute, der man mehr Aufmerksamkeit bei den geltenden Präsidentenvollmachten schenken könnte. Es wird eher eine Stabilität des geschaffenen Systems gewährleistet, eine Unveränderlichkeit dessen inneren Spielregeln, das Andauern der persönlichen Macht. Wladimir Putin denkt über einen Nachfolger nach, der die Interessen des gegenwärtigen Präsidenten wahren wird. Entsprechend genau dieser Logik ist er auch selbst vor 20 Jahren zum Nachfolger von Boris Jelzin geworden.