Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Über Weißrussland wird ein nuklearer Schirm aufgespannt


 

Beim am Montag stattgefundenen weißrussisch-russischen Gipfeltreffen in Minsk war das Thema der taktischen Kernwaffen (TKW) in aller Munde. Die Oberhäupter des Unionsstaates teilten offiziell mit, dass die Russische Föderation Weißrussland bei der Ausbildung von Crews für die Flugzeuge helfe, die in der Lage sind, „luftgestützte Munition mit einem speziellen Gefechtsteil“ einzusetzen. Unter den Bedingungen der Durchführung der militärischen Sonderoperation durch Moskau und der Erörterung der Medien und von Experten hinsichtlich der Möglichkeit neuer Schläge gegen die Ukraine seitens Weißrusslands belegt dies in bekanntem Grad eine neue Wende im Konflikt.

Wie mehrfach Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko erklärte, werde eine Stationierung von TKW auf dem Territorium seines Landes zu einer möglichen, wenn der Westen derartige Waffen nach Polen, Litauen usw. verlege.

Solch eine Position von Minsk formulierte Lukaschenko beispielsweise in einem Telefonat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nur drei Tage nach Beginn der international umstrittenen russischen militärischen Sonderoperation in der Ukraine. Den Wunsch, auf seinem Territorium Kernwaffen zu stationieren, formulierte Lukaschenko gegenüber dem russischen Amtskollegen Wladimir Putin bereits am 25. Juni dieses Jahres in Sankt Petersburg. Das russische Staatsoberhaupt versicherte, dass Russland im Verlauf der weiteren nächsten Monate Belarus „taktische Raketenkomplexe „Iskander-M“, die bekanntlich sowohl ballistische als auch Flügelraketen – wobei sowohl in einer konventionellen als auch nuklearen Ausführung – anwenden können“, übergeben werde.

Bereits am 26. August erklärte Lukaschenko, dass die Umrüstung weißrussischer Jets für die Möglichkeit eines Tragens von Kernwaffen vorgenommen worden sei. Und bei dem am 19. Dezember erfolgten Gipfeltreffen in Minsk dankte er Wladimir Putin „für die Unterstützung der Verteidigungsfähigkeit der Republik, unter anderem dafür, dass die von Moskau übergebenen Luftabwehrraketen-Komplexe S-400 und „Iskander“ für einen Gefechtsdienst vorbereitet wurden.

Damit ist aber die Sache nicht abgetan. Alexander Lukaschenko dankte gesondert dem Amtskollegen für die begonnene Etappe der Ausbildung von Crews – mit Hilfe der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation -, die in der Lage seien, „Flugzeuge zu steuern, die spezifische Munition an Bord haben“. Weißrusslands Präsident unterstrich, dass solche Handlungen für niemanden wen auch immer eine Bedrohung seien. Aber Weißrusslands Führung versetzen die Handlungen der westlichen Staaten rund um die Grenzen des Unionsstaates in eine Spannung. „Wir mussten den weißrussischen Staat absichern. Sie haben einen entschiedenen und sehr wichtigen Schritt bei der Unterstützung von Belarus getan“, unterstrich Lukaschenko, wobei er sich an Putin wandte.

„Die Handlungen der westlichen Staaten rund um die Grenzen des Unionsstaates tangieren augenscheinlich auch die Sicherheit an dessen Südgrenzen“, betonte in einem Gespräch mit der „NG“ der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Nikolaj Schulgin. „Gerade in jenen Gebieten konzentriert sich derzeit laut offiziellen Meldungen die russisch-weißrussische Truppengruppierung. Dort erfolgt auch deren Ausbildung, darunter auch auf dem Übungsgelände Brestskij. Er liegt unweit der Territorien Polens und der Ukraine. Die Militärs der Gruppierung führen auf ihm weiterhin gemeinsame Ausbildungsstunden zur Gefechtsausbildung durch. Offensichtlich erlernen da auch Fliegerkräfte und die Besatzungen der Komplexe, auf deren Raketen eine Installierung von TKW als Gefechtskopf möglich ist, ihr militärisches Handwerk“.

Mit welchen Flugzeugen die Umschulung der weißrussischen Piloten hinsichtlich eines Einsatzes von TKW erfolgt, wird nicht gemeldet. Lukaschenko hatte zu den Ergebnissen des Summits in Minsk lediglich erklärt, „dass wir seit den Sowjetzeiten solche Flugzeuge haben. Wir haben sie in der Russischen Föderation getestet. Wir bereiten jetzt mit den Russen Crews vor, die in der Lage sind, die Flugzeuge zu steuern“. Zuvor, Ende August, hatte er Medien mitgeteilt, dass „man weißrussische taktische Su-24-Front-Bombenflugzeuge für das Tragen von Kernwaffen mit Unterstützung Russlands umgerüstet hatte“.

„In den Streitkräften Weißrusslands hatte es nach dem Zerfall der UdSSR über 30 Su-24-Flugzeuge gegeben. Im Jahr 2012 wurden sie aber alle aus dem Bestand der Luftstreitkräfte des Landes genommen, wonach sie sich in der Reserve befanden“, teilte der „NG“ der Militärexperte und Oberstleutnant im Ruhestand Alexander Owtschinnikow mit. „Nach Beginn der militärischen Sonderoperation hat man diese Bombenflugzeuge mit Unterstützung russischer Spezialisten augenscheinlich modernisiert. Und jetzt befinden sie sich im Militärdienst. Sie sind im Bestand der gemeinsamen Truppengruppierung des Unionsstaates“.

Er lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass die weißrussischen Flugzeuge mit Besatzungen, die fähig sind, TKW zu bedienen, Gefechtsaufgaben auf dem gesamten Landesterritorium erfüllen würden. Und der Mechanismus der möglichen Ausrüstung dieser Flugzeuge mit TKW werde wahrscheinlich durch ein gesondertes Abkommen zwischen Moskau und Minsk festgeschrieben.

„Offensichtlich wird ein Schema wirken, das dem analog ist, dementsprechend jetzt Flugzeuge der NATO-Länder amerikanische TKW einsetzen können“, erläutert Owtschinnikow. Er erinnerte daran, dass laut Angaben der National Nuclear Security Administration (NNSA, deutsch: Nationale Verwaltung für Nukleare Sicherheit) in den Depots des Pentagons in Europa (in Deutschland, Italien, Belgien, den Niederlanden und in der Türkei) nicht weniger als 100 taktische nukleare Fliegerbomben vom Typ B61-3 und B61-4 mit einer Stärke von 0,3 bis 340 Kilotonnen gelagert seien. Die könnten nicht nur amerikanische F-15- und F-16-Jagdflugzeuge, sondern auch die Luftstreitkräfte der anderen NATO-Länder auf dem europäischen Kriegsschauplatz einsetzen. „Am Tag X erhalten die Flugzeuge der Allianz die TKW in den Militärdepots der USA und setzen sie gegen den Gegner ein“, erinnert Owtschinnikow.

„Wenn es in Weißrussland keine derartigen Depots geben wird, so werden die Besatzungen dessen Militärflugzeuge die taktischen Kernwaffen in den Nukleararsenalen auf dem Territorium der Russischen Föderation erhalten und sie schon von dort aus gegen den Gegner einsetzen. Aber man möchte gern daran glauben, dass die Sache wohl kaum dazu kommen wird. Ich hoffe, dass die Eskalation mit der NATO und der Ukraine bald beendet wird und die Notwendigkeit eines Einsatzes TKW durch weißrussische Flugzeuge von selbst entfällt“, unterstrich der Experte gegenüber der „NG“.