„Für mich ist es wichtig, jetzt ihre Sache fortzusetzen, ihre Manuskripte, Briefe und Sachen zusammenzutragen, mich an alles an sie zu erinnern und aufzuschreiben, woran ich mich erinnere. Und ich erinnere mich natürlich an Vieles. Bald, bald wird sie in der sowjetischen, der russischen Literatur ihren großen Platz einnehmen. Und ich muss ihr dabei helfen.“ Dies schrieb, sich selbst noch in der Haft befindend, die Tochter von Marina Zwetajewa, Ariadna Efron (1912-1975). Sie, die beinahe 16 Jahre in Lagern und in der Verbannung verbrachte, hörte nicht auf, dem Erbe der Mutter täglich, tröpfchenweise durch die gusseisernen Pfähle der Ideologie einen Weg zu bahnen. Ein vorbereiteter Sammelband war wie vom Winde verweht worden, war verloren gegangen, geplante Veröffentlichungen platzten. Doch Ariadna Sergejewna konnte nichts aufhalten.
Ihre rechte Hand war eine ungewöhnlich begabte Frau, die sich Zwetajewa gewidmet hatte – Anna Saakjanz (1932-2002). Die ausgezeichnete Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, die die Sprache ausgezeichnet beherrschte, war für Ariadna Sergejewna beinahe zu einer Tochter geworden. Gemeinsam arbeiteten sie an den überaus komplizierten Texten von Marina Zwetajewa. Mitunter reisten sie durch Russland, obgleich die Gesundheit von Ariadna Sergejewna angeschlagen war. Und sie schrieben einander Briefe, wenn sie nicht nebeneinander waren. Ariadna Efron war gleichfalls eine ausgezeichnete Prosaikerin. Heute ist das meiste ihres epistolaren (literarischen) Erbes veröffentlicht worden. Und man kann nur staunen, wie Zwetajewas Tochter, eine glänzende Übersetzerin westeuropäischer Poesie und die in Vielem das einmalige Talent der Mutter hinsichtlich des Stilempfindens geerbt hatte, ihr Talent einer Prosaikerin in seitenlangen Briefen vergeudete.
Und jetzt haben wir weitere 300 Botschaften dieser erstaunlichen Frau erhalten. Es handelt sich um Briefe, die Ariadna Efron Anna Saakjanz im Verlauf von 15 Jahren geschrieben hatte, von 1961 bis einschließlich 1975. Vorbereitet haben diesen Band der unvergessliche Lew Mnuchin und die Spezialistin für das Werk von Marina Zwetajewa, Tatjana Gorkowa („Ariadna Efron. Das zweite Leben Marina Zwetajewas: Briefe an Anna Saakjanz von 1961-1975“, erschienen im Moskauer Verlag AST).
„Uns hat es gegeben – erinnere dich dessen / in der Zukunft werde ich / richtig schneidig dein erster Poet sein / Du – mein bester Vers…“ So hatte Zwetajewa der Tochter im hungernden und eisigen Moskau von 1918 geschrieben.
Ariadna Sergejewna erinnert sich gelegentlich an ihre Vergangenheit, schreibt markant und klar: „Überhaupt, was ist das für ein Wunder der Bunin. Wo immer man auch aufs Geratewohl irgendeine Seite aufschlägt, ist Leben, ein lebhaftes Leben, für immer ein lebendiges Leben! In solch einem Maße ein lebendiges, dass, wenn du dich losreißt, für eine Sekunde maschinell aus dem Fenster schaust, auch der heutige Tag des Sommeranfangs in all seinem Blühen, Verblassen, seiner Reichhaltigkeit an Blättern und Vielzahl von Vögeln, in all seinem – was das Wichtigste ist – heutigen Charakter ein sinnliches Bildchen aus einem Kalender zu sein scheint und überhaupt nichts zu sein scheint! Was für ein Talent, oh mein Gott, was für eine Pfundgrube an Begabung war dieser kleine, schmächtige, ungute Mann mit einem durchdringenden Blick“.
Kurzum, lesen Sie die Briefe von Ariadna Efron!