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Von der KPRF erwartet man eine Radikalisierung


Laut Informationen der „NG“ kann eine Beschwerde der Kommunisten hinsichtlich der Suspendierung von Pawel Grudinin von den Wahlen am 27. Juli beim Obersten Gericht eingereicht werden. Damit wird die erste Androhung des KPRF-Chefs Gennadij Sjuganow realisiert. Die zweite – eine Protestaktion gegen die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission – wird bis zur Antwort des Obersten Gerichts vertagt. Experten betonen, dass sich das Bild der Wahlkampagne zugunsten der Linken verändern könne, wenn sie sich entschließen, die Situation für eine Radikalisierung auszunutzen, das heißt – einen politischen Kampf beginnen.

Der Beschluss der Zentralen Wahlkommission sieht wie eine Sonderoperation aus, nicht nur, weil vor ein paar Tagen, vor der Tagung vom 24. Juli die KPRF die Versicherungen erhalten hatte, dass ihre Parteiliste in der ursprünglichen Variante bleiben werde. Wie sich aus den Dokumenten herausstellte, auf deren Grundlage man Grudinin vom KPRF-Listenplatz Nummer 3 strich, hatte die Zentrale Wahlkommission am 14. Juli eine Anfrage an die Generalstaatsanwaltschaft bezüglich dessen Vermögen gesandt.

Dies bedeutet, dass entweder die Beschwerde von Grudinins Ex-Gattin bereits eingereicht worden war oder einfach über sie rückwirkend gewisse zusammengetragene Informationen oder voreingenommen interpretierte Angaben, wie die Kommunisten selbst erklären, legalisiert wurden. Es sei daran erinnert, dass laut Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Grudinin angeblich einen Anteil an einem Unternehmen habe, das in Belize registriert ist. Er aber versichert, dass die Offshore-Firma durch ihn liquidiert worden sei.

In den Massenmedien sind bereits die verschiedensten Varianten einer Erklärung für die vorgefallenen Ereignisse beschrieben worden. Beanstandungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Versionen der Opponenten haben alle Seiten geäußert. Die „NG“ hatte bereits gleich nach dem Parteitag der Kommunistischen Partei vermutet, dass die Frage nach dem Auslandsbesitz Grudinins unbedingt an die Oberfläche kommen werde (siehe Printversion der „NG“ vom 24.06.2021). Freilich hatte sich die „NG“ nicht zu der Prognose entschlossen, dass die Offiziellen beginnen würden, die Kommunisten zu einer Radikalisierung buchstäblich ab dem Beginn der (Wahl-) Kampagne zu treiben. Folglich besteht die Hauptfrage jetzt darin, wie hart die Antwort der Linken ausfallen wird, wenn sie natürlich nicht erneut die Situation auf formale Empörungen herunterfahren. Während beispielsweise die erste Androhung Sjuganows, sich an ein Gericht zu wenden, bereits realisiert wird, so beeilen sich die Kommunisten nicht mit der zweiten -–mit Protesten auf die Straßen zu gehen.

Der Leiter des analytischen Dienstes der KPRF Sergej Obuchow ist sich sicher, dass „der Zentralen Wahlkommission ein Kommando von oben gegeben worden ist“. Er erklärte der „NG“, dass man die Partei nicht vorab über die Beanstandungen in Bezug auf Grudinin gewarnt hätte. „Niemand hat uns irgendwelche Benachrichtigungen gesandt. Es ist unklar, warum die Zentrale Wahlkommission sich an die Generalstaatsanwaltschaft und beispielsweise nicht an den Steuerdienst gewandt hat“. Nach Aussagen Obuchows sei die Zentrale Wahlkommission bei der Überprüfung der Dokumente vom Prinzip her nicht verpflichtet, die Partei über die Ergebnisse zu informieren. Die Chefin der Zentralen Wahlkommission Ella Pamfilowa selbst habe eine vollkommende Unterstützung für die Kandidaten versprochen. Der Rechtsdienst der KPRF erörtere bereits den Inhalt der Klageschrift für das Oberste Gericht. Eine Protestaktion zur Verteidigung Grudinins hat aber bereits am 24. Juli spontan auf dem Moskauer Puschkin-Platz stattgefunden. Freilich soll am Montag der Stab der Protestaktion zusammenkommen, der ein Datum für neue Auftritte festlegen kann. Aufgrund der Beschränkungen für Demonstrationen und Meetings könnten sie jedoch, präzisierte Obuchow, vorrangig im Format von Treffen mit Abgeordneten und Kandidaten der KPRF stattfinden.

Sergej Tschikirjew, Mitglied der Zentralen Wahlkommission von der KPRF mit beratender Stimme, erinnerte die „NG“ daran, dass die Partei fünf Arbeitstage für das Einreichen einer Klageschrift habe. Dabei verwies er darauf, dass nur die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission angefochten werden könne, aber nicht das Dokument der Generalstaatsanwaltschaft. Für seine Entscheidung werden dem Obersten Gericht laut Gesetz zehn Tage eingeräumt. Der stellvertretende ZK-Vorsitzende der KPRF Dmitrij Nowikow versicherte der „NG“, dass sich die Juristen bemühen würden, die Klageschrift für das Oberste Gericht bereits zum 27. Juli vorzubereiten. Vorerst aber werde tatsächlich erörtert, wie sie politisch und technologisch aussehen werde. „Dies ist eine politische Abrechnung reinsten Wassers. Von der Form her — eine Tagung der Zentralen Wahlkommission, vom Wesen her aber eine Verhöhnung. Wenn Pamfilowa mitteilt, dass sie kein Recht habe, die Situation objektiv vom Wesen der Frage her zu behandeln, ein Gericht müsse sich damit befassen, wozu hat man dann dem Vertreter der (Ex-) Gattin Grudinins das Wort erteilt“, unterstrich er. Die Kommunisten behaupten ständig, die ehemalige Ehefrau des Kandidaten würde angeblich schon lange im Interesse von Raidern (Räubern) arbeiten, die sich Grudinins „Lenin-Sowchos“ kapern. Nowikow präzisierte, dass die verbliebenen Aktionen im Rahmen der am 23. Juli gestarteten Kampagne „Antikap (-italismus) – 2021“ vorerst unter der Flagge einer Verteidigung Grudinins erfolgen würden. Neue Proteste würden aber in dem Falle beginnen, wenn sich das Oberste Gericht nicht auf die Seite der KPRF stelle und Grudinin nicht in seinen Rechten als ein Kandidat rehabilitiere. „Wir werden mit dem gesamten Arsenal der Methoden kämpfen. Mit juristischen – Gerichtsklagen, politischen – Erklärungen und Protest-Methoden – Straßenaktionen. Vorerst aber können wir nicht voraussagen, wie objektiv die Entscheidung des Obersten Gerichts sein wird“, unterstrich Nowikow. Und er präzisierte noch, dass, obwohl hinsichtlich Grudinins keiner die Partei vorab in Kenntnis gesetzt hätte, hätte das Mitglied der Zentralen Wahlkommission von der KPRF, Jewgenij Koljuschin, über einzelne Episoden informiert.

Auf die Frage der „NG“, wie sich die Suspendierung Grudinins auf die Wahlkampagne insgesamt und auf die KPRF in Sonderheit auswirken werde, erläuterte Nowikow: „Leider wird die Kampagne nicht raffinierter und sauberer. Eine negative Besonderheit der Wahlen waren nicht nur die verzerrten Zahlen, sondern auch eine Simulierung des gleichen Rechts auf einen Zugang zum Wähler für die verschiedenen Teilnehmer der (Wahl-) Kampagne. Insgesamt wird die Suspendierung Grudinin nur das existenzialistische Misstrauen in das Wahlsystem verstärken“. Der stellvertretende ZK-Vorsitzende betonte, dass der Grudinin-Faktor dennoch in der Kampagne ausgenutzt werde. Man werde ihn den Wählern als Mitglied des KPRF-Teams und als einen möglichen Kandidaten für die Regierung der Russischen Föderation nach dem Sieg der Kommunisten vorstellen. Obuchow ist sich sicher, dass das mit Grudinin Vorgefallene für die KPRF den Status der wichtigsten oppositionellen Kraft des Landes verstärken werde. „Und wir müssen auch nichts ein weiteres Mal beweisen. Jetzt haben die Offiziellen bereits keine Möglichkeit, die Sache so darzustellen, dass die KPRF gegen Schirinowskij und die Vertreter von „Gerechtes Russland“ kämpft. Es offenbart sich klar, dass wir eine harte Auseinandersetzung gerade mit der herrschenden Partei haben. Es erstaunt aber der antitechnologische Charakter der Entscheidung zu Grudinin. Augenscheinlich erfolgte der Auftrag von ganz oben“.

Alexej Kurtow, Präsident der Russischen Assoziation politischer Konsultanten, merkte gegenüber der „NG“ an, dass der Grudinin-Faktor in erster Linie im europäischen Teil Russlands eine Rolle spiele. Dort, wo man bei den Präsidentschaftswahlen gut für ihn abgestimmt hatte. „Insgesamt aber ist hinsichtlich des Landes der Grudinin-Faktor leicht überbewertet. Vom Prinzip her aber ist solch eine Wende ein Plus für die Kommunisten. Sie werden einen größeren Oppositionscharakter demonstrieren und das Protestpublikum mobilisieren. Derzeit ist für die KPRF das Wichtigste, den „Fall Grudinin“ zu pushen, zu beweisen, dass er real für die Offiziellen gefährlich ist. Und daher bekämpfen ihn die Herrschenden auch so hart“, sagte Kurtow. Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erläuterte, dass es jetzt für die KPRF natürlich einen Anlass gebe, radikaler zu werden, wobei „nicht nur in der Forderung nach einer Rückkehr des Kandidaten, sondern auch in allem Übrigen“. Folglich „ist die Verfolgung von Grudinin in Vielem ein Geschenk für die KPRF, da dies ihren Status als wichtigste Oppositionspartei beweist“. Vieles werde aber davon abhängen, wie die KPRF die erhaltene Karte ausspiele. „Werden die Linken nur über die Geschichte und über die Vergangenheit sprechen oder werden sie endlich anfangen, über den heutigen Tag und die Zukunft zu reden sowie eine aktuelle Tagesordnung anzusprechen. Auf jeden Fall verliert vorerst nicht die KPRF Punkte, sondern die Herrschenden. All dies führt dazu, dass für die KPRF immer mehr die erzürnten Städter stimmen werden, das heißt das Protestelektorat, das die linke Ideologie nicht teilt“. Alles in allem werde Grudinin sein Mandat nicht erhalten, doch die Ratings der Partei werden durch die Mitfühlenden steigen. Ja, aber wie sehr, „dies ist bereits eine Frage der Ausnutzung der Protest-Tagesordnung während der (Wahl-) Kampagne“.