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Warum sich in Russland die Filmproduktion wichtiger als die Kinos erwiesen hat


Russlands Regierung hätte es abgelehnt, den Inhabern der Kinos Subventionen im Umfang von 6,5 Milliarden Rubel zu gewähren, erklärte Roman Isajew, Mitglied der Assoziation der Kino-Besitzer. Nach seiner Meinung führe dies zu einer massenhaften Schließung von Kinos. „Wir hatten sehr gewartet. Auf eine erforderliche und lebensnotwendige Hilfe für die Kinos seitens des Staates. Und wir hatten mehrfach darum gebeten, haben analytische Berechnungen vorgelegt. Aber leider sind wir nicht erhört worden“, sagte Isajew.

Alarm zu schlagen, hatten die Besitzer von Kinos zu Beginn des Frühjahrs begonnen, als die Major-Labels der Filmindustrie anfingen, den Markt zu verlassen. Mit dem Weggang der Hollywood-Studios sind die Einnahmen drastisch eingebrochen. Im März um 44 Prozent (und die Zahl der Kinogänger – um 49 Prozent), wenn man einen Vergleich mit der Statistik des Jahres 2021 zieht, auch nicht des günstigsten aufgrund der Restriktionen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Die Assoziation führt Zahlen zur Schließung von Kinosälen an. In den ersten beiden Aprilwochen hat sich ihre Zahl von 3900 bis auf 3600 verringert. Der katastrophale Mangel an zugkräftigem Repertoire führe zu einem Verlust von 80 Prozent des Erlöses, meinen die Besitzer der Kino-Ketten, was im Endergebnis zur Schließung der Hälfte aller Kinosäle führen werde. Wobei dies für die großen Akteure auf dem russischen Markt nicht einfach ein Verlust des Business bedeuten würde, sondern auch noch eine Welle von Gerichtsprozessen aufgrund der sogenannten unlösbaren Verträge mit den Einkaufs- und Freizeitzentren, wenn der Mieter nicht das Recht hat, ein Filmtheater bis zum Vertragsende zu schließen, und verpflichtet ist, die Tätigkeit fortzusetzen, da es einen Besucherstrom sichert.

Im März haben sich Kinogänger selbst angeschickt, die Kinos zu unterstützen. In den sozialen Netzwerken wurde die Aktion „Rette die Kinos“ gestartet, in deren Rahmen man eine Kinoeintrittskarte kaufen konnte, selbst wenn man nicht beabsichtigte, ins Kino zu gehen, unter anderem auch mit der sogenannten Puschkin-Karte (Rabatt-Karte für Schüler und Studenten, die im vergangenen Jahr in Russland eingeführt wurde, um zum Besuch von Kultureinrichtungen des Landes unterschiedlichster Art zu animieren – Anmerkung der Redaktion). Es ist klar, dass diese edle Initiative die Kinos vor einer Insolvenz nicht retten wird.

Allerdings hat das Finanzministerium bisher keine endgültige Entscheidung getroffen und bitte um eine zusätzliche Begründung für die Notwendigkeit einer Bereitstellung von Subventionen, wobei es betont, dass die Rettung der Lichtspieltheater keine erstrangige Aufgabe für das Ministerium sei. Das Problem der Verleiher wurde bei einem Treffen von Abgeordneten der Staatsduma (des Unterhauses des russischen Parlaments) mit Russlands Kulturministerin Olga Ljubimowa diskutiert. Dabei wurde der Gedanke geäußert, dass die Kinos zeitweilig ihr Arbeitsprofil ändern oder Phantasie bei der Gewinnung von Publikum an den tag legen sollten. In diesem Geiste äußerte sich auch die Vorsitzende des Staatsduma-Kulturausschusses Jelena Jampolskaja (Kremlpartei „Einiges Russland“). Sie schlug vor, die Aufmerksamkeit auf die einheimische Klassik zu lenken, auf Vorstellungen von Filmen, die schon lange nicht mehr im Verleih sind, auf zugängliche europäische oder Festival-Streifen, auf die Arbeit mit Schülern, Übersichten und Eingangsvorlesungen usw. „Für den Anfang könnten sie (die Vorlesungen und Vorträge – Anmerkung der Redaktion) zu den besten Filmen über die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges erfolgen. Im Weiteren wäre es toll, wenn dies ein fakultativer Kinounterricht zur Geschichte der einheimischen Filmkunst und möglicherweise auch der besten internationalen wäre. Wir verwerfen doch nicht das beste internationale Erbe“, sagte Ex-Journalistin Jampolskaja.

Zur gleichen Zeit fasste die Regierung von Premier Michail Mischustin Ende April einen Beschluss über eine zusätzliche Unterstützung der einheimischen Filmindustrie. Für diese Zwecke werden aus dem Reservefonds des Ministerkabinetts weitere 5,5 Milliarden Rubel bereitgestellt. Mit Hilfe der bereitgestellten Mittel sollen über 160 neue Filme geschaffen werden. Spielfilme für ein Massenpublikum und für Kinobesuche in Familie, Dokumentarfilme und Kurzfilme, aber auch für Debütarbeiten von Regie-Newcomern. Das heißt, in der Perspektive werde laut den Vorstellungen der Regierung der russische Verleih mit Content versorgt sein.

Wo wird man aber die neuen Filme sehen können, wenn die Kinos geschlossen werden? Und wird nicht das Publikum bis zu dem Zeitpunkt, wenn die einheimische Filmindustrie zum Verleih bereit sein wird, verloren werden? Ein Großteil der Kinogänger wird sicherlich in die Online-Kinos gehen. Das Internet sichert seinen Nutzern einen Zugang zu Neuheiten. Und wer bereits VPN nutzt, wird sich Raubkopien herunterladen. Es ist bekannt, dass das innerhalb einer Woche zerstörte man über Jahre hinweg wiederaufbauen muss und kann (der gegenwärtige Ukraine-Konflikt ist sinnfälliger Beweis dafür – Anmerkung der Redaktion). Und es geht dabei nicht nur um Gebäude und Anlagen, sondern auch um das Vertrauen und das Interesse des Zuschauers, die man vor dem Hintergrund des Ausbleibens von neuen Hollywood-Streifen erarbeiten oder wiederherstellen muss.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Die vom vergangenen Wochenende vorliegenden Besucherzahlen in den russischen Kinos belegen, dass Filme aus eigener Produktion wenig in die Lichtspieltheater locken. Selbst wenn beispielsweise das Staatsfernsehen tagtäglich beispielsweise Kriegsfilme anpreist (die Werbekosten sind sicherlich erhebliche), sind sie letztlich Verlustgeschäfte. Der Kinogänger fragt sich da mit Recht: Wofür gibt die Mischustin-Regierung unsere Steuergelder aus? „NG Deutschland“ hat eine Tabelle aus russischen Streifen zusammengestellt, die in den Top 20 für das vergangene Wochenende auftauchten (Quelle: www.kinobusiness.com).

 

Platzierung

 

Titel

Anzahl der Wochen im Verleih  

Gesamtbesucherzahl

1 Komödie „Artek – Die große Reise“ 3 550.153
3. Komödie „Botan und die Super-Frau“ 1 56.745
4. Trickfilm „Buka. Mein Lieblingsungeheuer“ 3 462.676
6. Kriegsdrama „1941. Flügel über Berlin“ 3 453.281
7. Trickfilm „Suworow. Die große Reise“ 3 212.197
10. Trickfilm „Finnik“ 8 1.812.770
11. Komödie „Marusja Foreva“ 1 16.373
12. Komödie „Verzweifelte Bausparer“ 3 184.739
13. Drama „Die Hinrichtung“ 5 123.345
14. Trickfilm „Das Geheimnis des Amuletts“ 1 10.329
18. Kriegsdrama „Der erste „Oscar““ 4 291.661
20. Trickfilm „Abenteuer des Zaren“ 1 4.660