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Wenn Du keine Kinder kriegen willst, zwingen wir Dich!


Eines der ewigen Themen Russlands, die regelmäßig an die Oberfläche kommen und erbitterte Diskussionen auslösen, sind die Aborte. Meistens wird es durch die Russisch-orthodoxe Kirche aufgeworfen, wobei sie von verschiedenen Seiten an dieses herangeht: Wenn man sie nicht verbieten kann (als maximales Programm), so sollte man auf maximale Weise den Frauen die Schwangerschaftsunterbrechung erschweren. Laut Schätzungen sind in den letzten beiden Jahren jeweils rund 660.000 Schwangerschaften unterbrochen worden, was in Russland legal ist.

Dieses Mal wurde zum Initiator eines neuen Vorstoßes die Bevollmächtigte für Kinderrechte beim Präsidenten, Anna Kusnezowa. In einem Bericht für das Staatsoberhaupt hat sie vorgeschlagen, die Finanzierung für die Kliniken, die Aborte vornehmen, zu kürzen und in den Apotheken den Verkauf von „Abort-Präparaten“ einzuschränken. 

Streng genommen laufen die Gegner der Schwangerschaftsunterbrechungen offene Türen ein, denn es gibt keine Menschen, die der Auffassung wäre, dass ein Abort gut sei. Eine Schwangerschaftsunterbrechung ist eine erzwungene Maßnahme. Die Ursachen, weshalb man sich auf diese einlässt, sind unterschiedliche – sowohl moralische als auch materielle. In der Regel ernsthafte für die Frau an sich. So ernsthafte, dass, wenn sie die Entscheidung getroffen hat, diese auf jegliche Weise verwirklichen wird. 

Das Problem der Schwangerschaftsunterbrechung, der Abtreibung ist ein überaus altes. Wieviel literarische Werke basieren auf diesem Sujet! Was haben nicht alles die Evastöchter mit sich angestellt! In den letzten 100 Jahren ist es möglich geworden, eine Schwangerschaft durch einen chirurgischen Abort zu unterbrechen. Wobei angemerkt werden muss, dass dies der Gesundheit der Frau nicht zum Nutzen gereicht. Ein medizinischer Abort ist aber die ungefährlichste Methode bei der Entscheidung, kein Kind zur Welt zu bringen. 

Erschöpfend und wie immer markant hat sich aus diesem Anlass der Abgeordnete der Staatsduma der Russischen Föderation und ehemalige Leiter von Rospotrebnadzor (Russlands Verbraucherschutzbehörde – Anmerkung der Redaktion), Gennadij Onistschenko, geäußert. Er kommentierte den Vorschlag der Kinder-Ombudsfrau Anna Kusnezowa, die Finanzierung von Schwangerschaftsunterbrechungen zu kürzen und den Verkauf von „Abort-“ Präparaten in den Apotheken zu verbieten, und betonte, dass ihre Idee die Probleme der künstlichen Schwangerschaftsunterbrechung nicht lösen und der „Aufgabe der Bewahrung des Volkes“ nicht helfen werde, sondern im Gegenteil das Leben vieler Frauen gefährde. „Ich würde nicht zu vereinfachenden Schemas abgleiten“, unterstrich Onistschenko. „Wir hatten schon Aborte verboten. In Scheunen ruinierten Hebammen unter antisanitären Bedingungen junge Mädchen, nahmen ihnen die Gesundheit und das Glück, Mütter zu sein“.

Gennadij Onistschenko ist sich sicher: Eine Verringerung der Zahl der Kliniken, die offiziell Schwangerschaftsunterbrechungen vornehmen, wird zu einer Zunahme der Zahl illegaler Abortarien führen. Gerade so war es, als man im Land die Aborte verboten hatte. Er erinnerte an die Gefahr für das Leben der Frauen, die zu Opfern stümperhafter illegaler Chirurgen werden können: „Da kommt dieses Mädchen, man schabt ihm alles aus. Es bleibt kaum am Leben. Wir verplempern unser Gender-Potenzial“. Man müsse sich mit dem Problem der Aborte befassen. Doch Verbotsmaßnahmen seien hier gefährlich. Er denkt, dass eine besonnene und ernsthafte Arbeit gebraucht werde, „angefangen bei der Familie, der Schule, Kultur usw.“.   

Onistschenko äußerte sich auch hinsichtlich des Mutter-Kapitals (seit 2007 gewährte finanzielle Unterstützung für die Frauen Russlands, die ein Kind zur Welt bringen, und derzeit mindestens etwa 5890 Euro ausmacht – Anmerkung der Redaktion): „Dies ist ein Versimpeln. Man muss alles geben, und nicht nur das Mutterkapital. Kaufen wir etwa bei den Frauen Kinder? Und wir zahlen und interessieren uns: Wieso bringen Sie keine Kinder zur Welt? Man hat Ihnen doch 400.000 (Rubel) gegeben. Das ist keine Vorgehensweise. Die Frau ist keine Kindergebärmaschine, sondern die Krönung der Schöpfung, auf deren Schultern die Aufgabe ruht, die Nation zu gebären und zu erziehen“. 

Es darf nicht vergessen werden, dass Gennadij Onistschenko das Amt des staatlichen Chefhygienearztes und dann des Leiters von Rospotrebnadzor rund 20 Jahre bekleidete. Ungeachtet dessen, dass er ein unbedingter Gegner von Aborten ist, geht er von der Realität aus, bei der ein Abort das geringste Übel ist.

Ein anderer Abgeordneter der Staatsduma der Russischen Föderation und Psychiater, Boris Mendeljewitsch, vertritt auch solch eine Meinung wie Gennadij Onistschenko. Er erinnert daran, dass unter den Gründen, wegen denen sich eine Frau für eine Schwangerschaftsunterbrechung entscheidet, auch eine Vergewaltigung sein könne. Eine Reduzierung der Finanzierung legaler Schwangerschaftsunterbrechungen provoziere die Zunahme krimineller Abtreibungen, was zu einem Anstieg der Infektionen und lethalen Fäle führe. „Man muss an sozialen Maßnahmen arbeiten, denn schon jetzt sind die Fälle keine Seltenheit, in denen die Mütter Kinder in Müllcontainern nur deshalb zurücklassen, weil sie das Kind nicht ernähren können“, meint Mendeljewitsch. 

Kategorisch gegen den Vorschlag von A. Kusnezowa ist die stellvertretende Vorsitzende des Rates für Menschenrechte beim Präsidenten, Irina Kirkora. Sie unterstrich, dass eine Abtreibung eine durch das Gesetz vorgesehene medizinische Hilfe zwecks Abbruch einer Schwangerschaft sei.

Überhaupt ist es am einfachsten, eine unerwünschte Schwangerschaft nicht zuzulassen. Dafür gibt es viele verschiedenartige moderne Mittel. Wie merkwürdig es auch sein mag, oft weiß man nicht von ihnen. Besonders die ganz jungen Mädchen. Über die unterschiedlichen Formen sexueller Beziehungen wissen sie Bescheid, aber darüber, was für Folgen eintreten können, wissen sie nichts. Über die Geschlechtserziehung der Teenager in den Schulen hatte man in den 90er Jahren gesprochen und verstummte. Man vertrat die Auffassung, dass dies eine Verführung der Kinder sei. Unverhohlene TV-Sendungen verführen aber nicht. Umso mehr die Internet-Pornographie. Dies verbietest du nicht und machst du nicht dicht. Das stimmt. Doch dem Halbwüchsigen taktvoll zu erklären, was intime Beziehungen sind, kann und muss man.  

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