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Wird Absurdes im russischen Filmverleih zur Normalität?


Das Thema einer Verstärkung der russischen Filmproduktion befindet sich nicht erst seit den letzten anderthalb Jahren auf einem Höhepunkt. Die Aufgabe, Hollywood einzuholen und zu übertrumpfen, wurde noch zu Zeiten von Ex-Kulturminister Wladimir Medinskij (heute Berater des russischen Präsidenten für Kultur- und Geschichtsfragen – Anmerkung der Redaktion) gestellt. Gelöst hat man sie freilich mit spekulativen Maßnahmen – man ließ westliche Blockbuster an Feiertagen nicht in die Kinos, womit den Filmverleihern Gewinneinbußen beschert wurden. Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen. Es gab die Pandemie, die die Prozesse der Filmproduktion in der ganzen Welt beeinflusste, sowie die COVID-Restriktionen, die keine Besucher in die Kinos ließ. Doch die Branche hat ungeachtet dessen überlebt, wenn auch einzelne Kinoketten das Handtuch werfen mussten.

Zu einem Wendepunkt für die russische Filmindustrie wurde der Beginn der militärischen Sonderoperation am 24. Februar 2022. Da hatte scheinbar auch schon der Kinogänger an sich, der sich bis dahin über die vergeblichen Versuche, mit Hollywood gleichzuziehen, lustig gemacht hatte, aufgeschrien: Die Giganten der internationalen Filmindustrie zogen Filme aus dem offiziellen Verleih zurück, was nicht nur eine Lücke, sondern ein riesiges Loch verursachte. Das Kino bleibt schließlich nach wie vor eine der zugänglichsten und erschwinglichsten sowie eine der gefragtesten Formen der Freizeitgestaltung.

Von beiden Seiten wurden verstärkte Ressourcen eingesetzt und Maßnahmen ergriffen: Die Filmproduktion wurde üppig finanziert und die Kinogänger, wenn auch nur in einem bestimmten Segment, wurden mit Bonussen beschenkt, was die Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten der sogenannten „Puschkin-Karte“ belegt.

All dies brachte Ergebnisse: Der Spielfilm „Tscheburaschka“ spielte eine Rekordsumme von 6,7 Milliarden Rubel ein, der teilweise in der ISS gedrehte Streifen „Die Herausforderung“ – 2,1 Milliarden Rubel. Und da nimmt überraschenderweise den 3. Rang mit einem Ergebnis von mehr als einer Milliarde Rubel der Film „Drei gute Sachen“, der bereits im November des vergangenen Jahres in die Kinos kam, im Rating der kommerziell erfolgreichsten Streifen des laufenden Jahres ein. Dies ist ein Ergebnis, das hinsichtlich aller denkbaren und undenkbaren Parameter einer Erwähnung im Guinness-Buch der Rekorde würdig ist.

Die Sache ist die, dass „Drei gute Sachen“ ein sechs Minuten langer Kurzfilm ist. Unter Berücksichtigung der Einnahmen wurde der Streifen zum kommerziell erfolgreichsten Film in der Geschichte des internationalen Filmverleihs. Doch der Streifen stellt auch hinsichtlich der Verleihdauer Rekorde auf. Die russischen Kinos zeigen ihn, wie bereits oben gesagt wurde, seit November des Jahres 2022 bis zum heutigen Tag („Tscheburaschka“ befand sich im Vergleich dazu nur fünf Monate im Verleih). Und noch ein Aspekt ist der Erfolg des Films, den ein Kind geschaffen hat. Die 12jährige Milana Lebedjewa drehte den Film über ein Mädchen, dass drei gute Taten vollbringen muss, um sich vom Fluch der Erfolglosigkeit zu befreien.

Es kann angenommen werden, dass „Drei gute Sachen“ auch in der absurden Kategorie „Film, für den man bezahlt, aber nicht ansieht“ gewinnt. Der Haken ist der, dass gerade dieser Streifen im widersprüchlichen Schema der Filmaufführungen, in deren Rahmen üblicherweise zu Beginn Trailer neuer Filme und Werbung gezeigt werden, sehr passend ist. Der sechsminütige Streifen nimmt nicht viel Zeit unter Berücksichtigung dessen in Anspruch, dass er nach dem einen oder anderen Film aus dem inoffiziellen Verleih, der als angeblicher Trailer bzw. „Promo-Streifen“ gezeigt wird, auf der Kinoleinwand erscheint. Im Winter erfüllte der James-Cameron-Film „Avatar: The Way of Water“ die Funktion eines Trailers. Gegenwärtig – „Barbie“ und „Oppenheimer“.

Dennoch aber ist hinsichtlich der Statistik, die sich auf Dokumente stützt, alles sauber. Seit vergangenem November ist der Kurzfilm in Russlands Kinos über 110.000mal gezeigt worden (in bereits leeren Sälen). Er spielte über eine Milliarde Rubel ein und wird bald darum kämpfen, um in die Top-20 der kommerziell erfolgreichsten russischen Filme zu gelangen.

Somit demonstriert „Drei gute Sachen“, wenn man die reale Situation bewertet, ein Anti-Rating, wobei die Popularität der Hollywood-Filme unanfechtbar bleibt, obgleich letztere nicht beworben und nicht subventioniert sowie praktisch still und leise gezeigt werden. Und sie werden dabei sehr gern gesehen. Allein die Komödie „Barbie“ hat laut Schätzungen des „Bulletins des Filmverleihers“ innerhalb von vier Tagen den Kinos 120 Millionen Rubel Einnahmen eingebracht.

Da ergibt sich: Wie sehr man auch in Russland offiziell gegen Hollywood ankämpft, rettet es wieder einmal die Verleiher und wirkt sich sogar positiv auf die offizielle Statistik aus, die die Ministerien erfreut und in die Berichterstattung gelangt. Wie heißt es da doch: Jeder kommt auf seine Kosten.

Post Scriptum

Russlands Arthouse- und Art-Mainstream-Kino macht gegenwärtig schwere Zeiten durch. Bisher haben die Einnahmen in diesem Jahr 156 Millionen Rubel erreicht, während im Jahr 2019 im analogen Zeitraum 289 Millionen Rubel eingespielt worden waren. Der Chef des „Bulletins des Flmverleihers“, Dmitrij Litwinow, formulierte daher eine traurige Prognose für das gesamte Jahr 2023. Dabei erklärte er, dass auch die Zahl der entsprechenden Filmvorhaben spürbar zurückgegangen sei – von 31 im Jahr 2019 bis auf 18 im laufenden Jahr. Ein weiterer Grund für die negative Tendenz ist die geringe Anzahl von Kinos in Russland, die bereits sind, Arthouse zu zeigen. Nur ganze 50 Kinos sind es im Land. Daher müsse man mit dem Publikum arbeiten, meint Litwinow, um diesen Trend zu stoppen.